Rezension

Ein kleines Jahreshighlight

Geschenkt - Daniel Glattauer

Geschenkt
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 5 Sternen

Mit „Gut gegen Nordwind“ und dem Folgeband „Alle sieben Wellen“ hat mir der österreichische Autor Daniel Glattauer bereits bewiesen, dass er nicht nur ein Meister der Geschichtenerzählung ist, sondern Charaktere entwickeln kann, die einem nachhaltig im Gedächtnis bleiben und diesen Platz nicht kampflos aufgeben.
Ein guter Grund sein neuestes Werk „Geschenkt“ mit Hochspannung und einer enorm hochgesteckten Messlatte an Erwartungen, an der die meisten Bücher scheitern würden, zu erwarten.

In „Geschenkt“ geht es um Hauptprotagonisten Geri, einen österreichischen Journalisten, nach außen hin zumindest. In Wahrheit ist Geri jedoch kein Mensch, der sich zu etwas berufen fühlt, sondern immer an der Grenze zum Minimum kratzt, das er ableisten muss.
Er schreibt kleine ihm vorgegebene Meldungen für eine Gratiszeitung und nach der Anstrengung gönnt er sich ein bis vierzehn Bierchen. Eigentlich ist jedoch nicht einmal Anstrengung vonnöten um sich mit ein paar Gläschen zu belohnen, Geri trinkt ständig, kurz vor der Alkoholsucht. Da kommen die regelmäßigen Treffen mit seinen Saufkumpanen gerade recht, „Zoltans Bar“ wird zum festen Schauplatz in unserer Geschichte.
Die Gespräche sind auch eher oberflächlicher Natur, jeder vertritt dabei seinen Standpunkt, ohne auf den Anderen einzugehen. Einig werden sich die Kumpel wenn es darum geht, wer die nächste Runde ausgibt, was meist bei Geri der Fall ist.
Ansonsten hat er eine pubertierende Tochter mit seiner Ex-Frau, zu denen er unregelmäßigen Kontakt pflegt. Im Laufe der Geschichte vertieft sich die Vater-Tochter-Beziehung allerdings.
Geri entwickelt sich zum Anti-Helden seiner Tochter mit seiner passiven Art und der Einstellung, Dinge hinzunehmen, wie sie kommen. Autoritäre Erziehung wäre ja nicht bloß viel zu anstrengend und nervenaufreibend, man kann sie auch gleich der Mutter überlassen, bevor man Gefahr läuft, die neuerlich entstandene Bindung zu zerstören. So wird Geri Anlaufstelle Nummer 1, wenn es darum geht, mal so richtig Dampf über die jugendlichen Probleme mit Eltern und dem Leben abzulassen.
Geris Leben dümpelt so langsam vor sich hin, bis er den Anruf einer verflossenen (sehr kurzen) Liebe erhält, der sein Leben völlig auf den Kopf stellt. Denn Geri ist sogar unwissend zweifacher Vater und sein „neuer“ Sohn soll ein halbes Jahr zum Hausaufgaben machen zu ihm kommen, da seine Mutter in der Zeit beruflich in Afrika ist. Der 14-jährige Manuel soll jedoch von der Meldung verschont bleiben, dass es sich bei Geri um seinen Vater handelt.
Als dann noch ein Wohltäter jeweils 10.000 € für hilfsbedürftige Menschen oder Institutionen spendet und diese mit Geris kleinen Meldungen in der Gratiszeitungen in Verbindung bringt, geraten sämtliche Zustände durcheinander.

Geri wirkt, wenn man ihn ganz objektiv betrachtet, wie ein langweiliger Versager, den man für seinen Lebensstil nur beglückwünschen will. Doch etwas davon ist er nicht – und zwar langweilig! Im Gegenteil, er ist so ein zynischer und selbstironischer Charakter, dass es mir teilweise die Schuhe ausgezogen hat und meine Lachmuskeln geradezu strapaziert hat.
Erwähnt werden muss dabei, dass die Geschichte aus Geris Perspektive erzählt ist, was eindeutig die beste Wahl war. Seinen Gedankengängen zu folgen ist urkomisch und wenn es mich nicht zum Lachen gebracht hat, so hat mich jede einzelne Seite zumindest zum Schmunzeln gebracht. Mit Geri und den Dialogen mit seinen Mitmenschen hat der Autor haargenau in mein Komikzentrum getroffen und es gleichzeitig geschafft, mein Herz zu erwärmen. Denn Geris eigene Entwicklung  sowie die der Beziehung zu seinem Sohn ist tiefgreifend und einfach wundervoll. Und obwohl Verantwortung ein Fremdwort für ihn zu sein scheint, überwiegt immer die Liebe und das Mitgefühl. Denn Geri ist durchaus ein sensibler und gefühlvoller Charakter, auch wenn er diese Emotionen zu wenig nach außen trägt.
Der Autor hat es letztendlich geschafft, Geris tristes und perspektivloses Dasein mit Leben zu füllen. Obwohl vorher nicht die Rede davon gewesen sein kann, dass er unglücklich war, wird er (primär durch seinen Sohn Manuel und die sich daraus entwickelnden Umstände) mit so viel Glück beschenkt, dass mich die Geschichte tief berührt hat.

(Seite 175)
„Jede Minute war hier kostbar, als wäre sie ein Konzentrat aus mehreren Jahren Weiterlebens.
Daran konnte man erst ermessen, wie weit unter ihrem Wert uns die Zeit in unseren Alltagstretmühlen verkauft wurde. Oder wir selbst warfen sie achtlos weg und waren uns dessen nicht einmal bewusst. Ja, ich war wahrscheinlich auch so ein Fall, vielleicht sogar ein Paradebeispiel dafür.“

Fazit

Mit „Geschenkt“ ist es Daniel Glattauer erneut gelungen, mich nachhaltig zu berühren und zwar so tief, dass es mir einige Tage nach dem Lesen immer noch ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Für mich bislang eines meiner Jahreshighlights 2014!