Rezension

Ein Kleinstadt-Idyll zerbricht

The Virgin Suicides
von Jeffrey Eugenides

Bewertet mit 4 Sternen

Das Debüt (1993) von Jeffrey Eugenides ist Thriller, amerikanische Gesellschaftsstudie und vielleicht auch Liebes- und Kriminalroman zusammengefasst in einer ganz besonderen Erzählform.

Direkt im ersten Abschnitt wird klargestellt worum es geht: Fünf Schwestern haben sich selbst das Leben genommen. Begonnen hat es mit der jüngsten, 13-jährigen und ein Jahr später sind ihr auch ihre 4 älteren Schwestern gefolgt. Die Geschehnisse dieses tragischen Jahres werden rückblickend aus der Perspektive der gegenüber wohnenden Jungen erzählt, welche den Mädchen eine fast schon an Vergötterung grenzende Faszination entgegen brachten. Sie haben ‚Beweisstücke’ (Zeitungsauschnitte, Fotos) und Memorabilia (Seifenstücke, Haarbürsten) gesammelt und berichten von ihren Beobachtungen des Hauses auf der anderen Straßenseite, das nach und nach verfiel, wie offensichtlich auch das Leben der Bewohner.

Das Buch läuft darauf hinaus, dass der Leser  darauf wartet zu erfahren, wie sich nach der ersten auch die übrigen Schwestern das Leben nehmen. Zwischendurch gibt es reichlich Raum für Spekulationen und Fragen über Fragen, was wohl hinter geschlossenen Türen vorgehen mag und was die Gründe für das Verhalten der Familie sind. Die Perspektive und der Erzählstil sind ungewohnt und dürften für die 90er geradezu bahnbrechend neu gewesen sein.  Kein Wunder, dass Kritiker Eugenides Debüt hoch lobend empfingen und den Autor nicht als vielversprechend, sondern als bereits mit einem vollkommenen Stil ausgestattet beurteilten.

Das Buch gefällt mir eigentlich nicht, weil es viele Fragen offenlässt. Lediglich die Frage nach dem wie wird beantwortet, nicht aber die nach dem warum. Das ist eine Sache, die ich auch bei Filmen überhaupt nicht mag, aber es gibt ja viele, die diese Art der spannenden Erzählung mögen. Vielmehr als um das Auflösen eines ‚Falles’ geht es in ‚The Virgin Suicides’ aber wohlmöglich auch um die Gesellschaftsstudie und unterschwellige Kritik am Kleinbürgertum. Zwar erlebt eine ganze Stadt mit, wie nach dem Tode des einen Kindes den anderen Schwestern jeglicher Sozialkontakt untersagt wird und das Haus verfällt, aber anstatt die Familie in der Gemeinde zu stützen, wird auch noch dem Vater der Lehrerjob gekündigt.  Das ist schon grotesk, doch mit Kritik halten sich die Wir-Erzähler, auch gegenüber ihren Eltern, zurück. Sie selbst kiregen in meinen Augen zum Ende des Buches so gerade noch die Kurve, ihr damaliges Alter berücksichtigend sind sie fast die einzigen, deren Verhalten halbwegs normal scheint, auch wenn man sie getrost als ‚besessen’ beurteilen könnte. Aber das Motiv ‚Jugendlicher ist heimlich verliebt in das Mädchen von gegenüber’ scheint mir absolut typisch fürs amerikanische Kleinstadtleben der 90er gewesen zu sein, es ist mir auch in anderen Werken begegnet.

Die neutrale, objektive Berichterstattung, die den Roman trägt, ist fesselnd und verstörend zugleich. Der Roman macht den Leser zum Ermittler, doch endgültige Antworten gibt es nicht. Das ist unterhaltsam und kurzweilige, regt zum Diskutieren an und macht nachdenklich. Irgendwie ist es auch melancholisch romantisch. Wie die VOGUE urteilte: ‚A bewitching novel of love, pain and the end of childhood.’