Rezension

Ein Krimi der anderen Art

Das Geheimnis der Grays - Anne Meredith

Das Geheimnis der Grays
von Anne Meredith

Bewertet mit 4 Sternen

Heiligabend 1931. Adrian Gray hat zum Weihnachtsfest seine gesamte Familie um sich versammelt, seine Mutter und insgesamt sechs Söhne und Töchter. Alles wirkt, wie an einem ganz normalen Familienfest: eilige Vorbereitungen, anreisende Gäste, Geldsorgen und Streitereien zwischen den Geschwistern. Doch schon am Morgen des ersten Weihnachtstages hat sich alles verändert. Adrian Gray wird in seinem Arbeitszimmer aufgefunden, ermordet von einem seiner Kinder. 

"Das Geheimnis der Grays" ist definitiv kein klassischer Whodunit-Krimi. 1935 unter Pseudonym verfasst von der britischen Schriftstellerin Lucy Beatrice Malleson reiht er sich in die Edition neu entdeckter Krimiklassiker von Klett Cotta ein. Bereits die Ausstattung ist schon eine Erwähnung wert: ein bunt bedruckter Leineneinband, ein charmantes Taschenformat und ein farblich passendes Lesebändchen laden förmlich dazu ein, sich diese Schätzchen ins Regal zu stellen. 

Die Autorin war im Übrigen Mitglied im berühmten Detection Club, dem auch Agatha Christie angehörte und muss sich keinesfalls vor ihrer Zeitgenossin verstecken. Im Gegensatz jedoch zu den üblichen Romanen der Queen of Crime geht es in diesem nur bedingt darum, wer den Mord an dem gestrengen Familienoberhaupt begangen hat. Im Gegenteil, das steht schon nach wenigen Kapiteln fest. Umso interessanter ist es für den Leser, stattdessen zu verfolgen, wie sich die Dynamik der Familie verändert, wie Vermutungen angestellt und falsche Verdächtigungen ausgesprochen werden. 

Erzählt wird die Handlung aus den verschiedensten Perspektiven, so dass das Geschehen aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchtet wird. Ein geschickter Schachzug der Autorin, weil so auch deutlich wird, wie ein Mörder zum Mörder werden kann. Denn im Prinzip hätte jedes der Kinder einen Grund, den Vater zu töten - es scheint, als habe mehr der Zufall als der Charakter bestimmt, wer tatsächlich der Täter sein wird. 

Spannung kann man somit in diesem Roman nicht erwarten, aber er ist auch eher eine Familiengeschichte oder ein Verbrechensreport, als ein klassischer Krimi. Mit einer klaren Beobachtungsgabe und einer Liebe zum Detail zeichnet Anne Meredith ein gestochen scharfes Bild der Familie Gray und damit auch der Zeit, in der sie lebt. Denn es geht nicht nur um die Leiche im Arbeitszimmer, sondern auch um Politik, die Stellung der Frau, die Kluft zwischen der arbeitenden und der reichen Bevölkerung und darum, dass man immer gerade das am meisten wünscht, was man nicht besitzt. 

Das Ende kommt dann nicht weiter überraschend, lässt einen aber nachdenklich zurück. Wie hätte diese Familie miteinander umgehen können, ja miteinander umgehen sollen? Hat der Mörder seine Strafe verdient? und waren nicht eigentlich alle gleich schuldig? 

Fazit: ein unterhaltsamer Roman einer interessanten Autorin