Rezension

Ein Leben in Angst

Drei Tage und ein Leben - Pierre Lemaitre

Drei Tage und ein Leben
von Pierre Lemaitre

Bewertet mit 5 Sternen

Die Handlung des neuen Romans von Pierre Lemaitre "Drei Tage und ein Leben" beginnt 1999, einen Tag vor Weihnachten. Der zwölfjährige unauffällige Schüler Antoine Courtin lebt mit seiner strengen Mutter Blanche in Beauval, einem kleinen Ort in der Provinz. Sein Vater hat die Familie vor sechs Jahren verlassen. Blanche arbeitet bei dem Fleischer Andrei Kowalski, der einen Laden in Marmont besitzt. Den Hund der Nachbarn Desmedt, Odysseus, liebt Antoine über alles. Mit ihm und dem sechsjährigen Rémi Desmedt geht er am liebsten in den Wald von Saint-Eustache. Dort baut Antoine heimlich ein Baumhaus, denn die anderen Kinder spielen mittwochs und samstags lieber mit der PlayStation.  Eines Tages wird Odysseus von einem flüchtigen Autofahrer angefahren und schwer verletzt, und statt ihn zu einem Tierarzt zu bringen, erschießt Roger Desmedt das Tier vor Antoines Augen und wirft ihn in einen Müllsack. Für Antoine bricht eine Welt zusammen. Aus Wut zerstört er das Baumhaus. Da taucht Rémi im Wald auf. Ihm hatte man nur erzählt, dass der Hund weggelaufen sei, er versteht Antoines Wut nicht.  Plötzlich schlägt Antoine mit einem Ast auf Rémi ein und trifft ihn an der rechten Schläfe. Rémi ist sofort tot. Wie in Trance versteckt Antoine das tote Kind in der Höhle eines Baumstumpfes und geht nach Hause. Nach einer großangelegten Suchaktion, an der sich alle aus dem Ort beteiligen, fegt am dritten Tag ein Jahrhundertsturm mit sintflutartigem Regen über das kleine Dorf hinweg. Rémi scheint vergessen worden zu sein, doch nicht von Antoine. Sein Leben hat sich in wenigen Minuten für immer verändert. Er allein kennt die ganze Wahrheit. Wird er erwischt und verhaftet, oder hat das Unwetter alle Spuren des Mordes verwischt, so dass er unentdeckt bleibt? 
Pierre Lemaitre beginnt seinen tragischen Gesellschaftsroman  im Jahr der Tat und geht später weiter in das Jahr 2011 und 2015. Der Protagonist kann mit niemandem, nicht einmal mit seiner Mutter, über die Tat reden. Er wird von unendlichen Schuldgefühlen geplagt. Der Autor geht der Frage nach, ob man als 12jähriger mit der Schuld leben kann, ein kleines Kind, das man lieb gewonnen hat, getötet zu haben. Was für ein Leben ist mit einer solchen Schuld überhaupt möglich? Angst, Albträume, Lügen und die Frage, ob es außer ihm jemand gibt, der die Wahrheit kennt, bestimmen fortan sein Leben. Der Roman ist hervorragend konstruiert, spannungsgeladen, dialogreich und enthält viele überraschende Wendungen und ein Ende, das man nicht vorhersieht. Für mich eins der besten Bücher dieses Jahres und absolut empfehlenswert.