Rezension

Ein lebensverändernder Trip

Neun Fremde
von Liane Moriarty

Bewertet mit 3.5 Sternen

Moriarty spielt geschickt mit den Vorurteilen ihrer Figuren und den Erwartungen der Leser. Jeder denkt, die Schwächen des anderen erkannt zu haben. Dabei liegen die Geheimisse viel tiefer, ist niemand so einfach gestrickt, wie der andere es gerne hätte. Die Abgründe sind tief.

Erholung, Heilung, eine Pause – das wünschen sich die neun Gäste des erstklassigen Wellness-Resorts Tranquillum House. Schmonzetten-Autorin Francis, die auf einen Heiratsschwindler reinfiel und deren Karriere zu Ende scheint. Scheidungsanwalt Lars, der seine jährliche Auszeit nimmt. Der hünenhafte Tony, der allen irgendwie bekannt vorkommt. Die stille Vorstadtmama Carmel. Das junge, unfassbar reiche Ehepaar. Und die sportliche Familie (Mama, Papa, Studententochter). Sie alle reisen mit ihrem ganz eigenen Gepäck an. Voll gepackt mit Sorgen, Ängsten und Wünschen. Doch egal was sie sich vorstellten – Luxus-Wellness, Eheberatung, Abnehmkur – am Ende gehen alle gemeinsam auf einen lebensverändernden Trip, den sie so nicht erwartet haben.

„Neun Fremde“ der australische Bestseller-Autorin Liane Moriarty („Tausend kleine Lügen“ – besser bekannt als HBO-Serie „Big Little Lies“) beschreibt auf fast schon groteske Weise, wohin die Jagd nach Entspannung, Erleuchtung, Weiterentwicklung führen kann. Wie weit der Mensch laufen kann, um seinen Ängsten aus dem Weg zu gehen. Wie zerstörerisch, verletzend und blind wir sein können. Wie schnell wir Urteile fällen. Über uns selbst und über andere.

Plätschert die erste Hälfte des 528 Seiten dicken Wälzers so vor sich hin, während die verschiedenen Teilnehmer des Retreats uns Einblick in ihre Gedanken, Vorstellungen, Meinungen und Geheimnisse geben; so nimmt die zweite Hälfte eine bizarre Wendung, gewinnt Tempo und überrascht mit Einblicken in die zerrissene Psyche der meisten Charaktere.

Die Abgründe sind tief

Moriarty spielt geschickt mit den Vorurteilen ihrer Figuren und den Erwartungen der Leser. Jeder denkt, die Schwächen des anderen erkannt zu haben. Dabei liegen die Geheimisse viel tiefer, ist niemand so einfach gestrickt, wie der andere es gerne hätte. Die Abgründe sind tief. Dabei greift Moriarty unglaublich harte Themen auf. Sie erspart ihren Charakteren nichts. Und der Leser muss mit ihnen da durch. Muss mit ihnen den Tod der eigenen Kinder verarbeiten, den Zusammenbruch von Ehe oder Karriere, die Drogensucht der Schwester, den Kinderwunsch des Partners, Verdrängung, Depression und verschobene Selbstwahrnehmung.

„Neun Fremde“ unterhielt mich bestens und führte mir vor Augen, dass man nicht vorschnell über Menschen urteilen sollte. Weder im Guten noch im Schlechten. Jeder hat seine Geschichte, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Auch wenn der Roman – zumindest in Teilen – grotesk überspitzt ist.

Trotz der Schwere der Themen liest sich der Roman angenehm leicht. Besonders die Szenen, die uns Schriftstellerin Francis schildert, brachten mich manches Mal laut zum Lachen.