Rezension

Ein lesenswerter Roman, geprägt von zwei starken Frauenfiguren

Neuleben - Katharina Fuchs

Neuleben
von Katharina Fuchs

Bewertet mit 5 Sternen

Der zweite Teil der Familiengeschichte beginnt im Frühjahr 1953. Gisela und Felix stehen kurz vor ihrer Hochzeit. Therese, Felix Schwester, studiert als eine von zwei Frauen an der Freien Universität Berlin Jura. Während der Vorlesungen ist Therese oftmals der Häme ihrer Kommilitonen und der Professoren ausgesetzt. Nun steht sie kurz vor ihrem ersten Staatsexamen, das sie mit Prädikat bestehen muss, um ihren Traum, eines Tages Richterin zu werden, verwirklichen zu können. Dafür muss sie wesentlich mehr als die männlichen Mitstudenten leisten. Ein schlechter Zeitpunkt, um sich zu verlieben. Auch Gisela strebt eine berufliche Karriere an, so wie ihre Mutter Anna es vorgelebt hat. Am liebsten würde sie sofort als Näherin bei einem modernen, angesagten Modelabel anfangen, doch zunächst nimmt sie eine Stelle bei der sehr konservativen Marke Engelmann an. Schon bald keimt in der jungen Frau ein Plan, wie sie es schaffen kann, der konservativen Linie mehr modernen Chic einzuhauchen. Dabei hilft ihr der gute Draht zur Tochter vom Chef. Nach der Hochzeit überschlagen sich die Ereignisse. Felix und Thereses Großmutter Lisbeth stirbt. Das einst prächtige Gut Feltin ist heruntergekommen. Großvater Richard haust in einem ehemaligen Arbeiterkotten und wird von der LPG Leitung aufgefordert, das Gut einen Tag nach der Beerdigung zu verlassen. Felix hat sich auf eine undurchsichtige Schmuggelaktion eingelassen, die ihn auf der Rückreise nach West Berlin in große Schwierigkeiten bringt. Welche Rolle sein Bruder Klaus, ein überzeugter Sozialist, dabei spielt, wird er erst später erfahren. Anna wird von der Vergangenheit eingeholt. Sie kehrt wieder an den Platz zurück, an dem ihre Karriere vor so vielen Jahren begann; das KaDeWe! Ob sich wirklich alle Träume erfüllen? Wohin wird die neue Zeit die Familien Liedke und Trotha treiben, nachdem Feltin verloren und West Berlin von der DDR umschlossen ist?

Die Fortsetzung des Romans „Eine handvoll Leben“, welcher im vergangenen Jahr im DroemerKnaur Verlag erschienen ist, setzt nun die junge Generation in den Vordergrund. Wieder sind es zwei starke Frauen, die diesen Roman prägen. Therese, welche sich als Frau in ihrem Jura Studium einiges gefallen lassen muss und dennoch ihr Ziel nicht aus den Augen verliert. Ebenso wie sie gegen ihre eigenen Dämonen ankämpfen muss. Ihr Trauma, das sie kurz vor Kriegsende durchleben musste, hat sie noch nicht überwunden. Ihre Schwägerin Gisela ist ganz die Tochter ihrer Mutter. Sie hat den Sinn für Schnitte und Stoffe von Anna geerbt und möchte sich, wie ihre Mutter, beruflich verwirklichen. Die lebensfrohe, positiv denkende Gisela hat eine ganze Menge Schwung, der ihr hilft das Leben anzupacken. Für beide jungen Frauen ist ihr beruflicher Erfolg wichtig. Eine Einstellung, die für die 1950iger Jahre fast revolutionär ist. In den Jahren blieben Frauen zu Hause und sorgten sich um den Haushalt, die Kinder und das Wohlergehen des Mannes, ohne dessen schriftliche Einwilligung sie auch keine Arbeitsstelle annehmen durften.

Doch auch politische Themen kommen in diesem Roman nicht zu kurz. Der Aufstand der Arbeiter der DDR am 17. Juni 1953 wird in die Geschichte verwoben. Felix und seine Freunde lassen sich auf ein gefährliches Unternehmen ein, um der westlichen Welt zu zeigen, welches Unrecht in der DDR geschieht. Dabei lernen die Freunde, vor allem Felix, die neu gegründete Behörde der Staatssicherheit kennen, deren lange Arme auch bis nach West Berlin reichen.

Anschaulich schildert die Autorin Katharina Fuchs den Gegensatz von Zerstörung und Neuaufbau in den Städten. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sich als erstes in den vollen Auslagen der Schaufenster widerspiegelt. Vorbei ist es mit dem Hunger und der Improvisation. Der Roman ist ein Wiedersehen mit den Protagonisten des letzten Teils, dennoch ist der Übergang zur jungen Generation wunderbar gelungen. Die Kapitel wechseln zwischen den jeweiligen Charakteren. Es fiel mir leicht mich in die Geschichte einzufinden. Durch die fabelhafte Beschreibung der Begebenheiten, hatte ich sogleich ein Bild der Szene vor Augen. Auf den ca. 400 Seiten verbirgt sich eine Mischung aus Aufbruch und Vergangenheitsbewältigung. Die Figuren sind keineswegs glattgebügelt, sondern haben ihre Narben, mit denen sie versuchen Frieden zu schließen.

Es ist eine Stück Zeitgeschichte, die der unterhaltsam geschriebene Roman seinen Lesern auf sehr bildhafte Weise näher bringt.