Rezension

Ein literarisches Highlight

Ein wenig Glaube - Nickolas Butler

Ein wenig Glaube
von Nickolas Butler

Bewertet mit 5 Sternen

Ein wenig Glaube" ist der erste Roman, den ich von Nickolas Butler gelesen habe, und ich freue mich sehr, dass ich diesen Autor für mich entdeckt habe.

Worum geht es?
Der Roman beginnt mit dem Hinweis, dass er zum Teil einer wahren Begebenheit nachempfunden ist, die sich am 23. März 2009 in Weston, Wisconsin, zugetragen hat. Wer nicht aus irgendeinem Grund weiß, was sich an diesem Tag zugetragen hat, sollte das Recherchieren sein lassen, da man sich ansonsten spoilert. Für alle, die es trotzdem wissen wollen, hat der Autor Nickolas Butler ans Ende seiner Geschichte eine Erklärung angefügt.

"Ein wenig Glaube" erzählt von Lyle und Peg Hovde, die ein glückliches Leben in einer ländlichen Gegend im Mittleren Westen der USA leben. Als ihre erwachsene Tochter Shiloh samt ihres fünfjährigen Sohnes Isaac in das elterliche Haus zurückkehrt, freuen sich beide über alle Maßen. Shiloh hat eine schwierige Phase hinter sich, doch mittlerweile scheint alles im Lot. Isaac ist ein pfiffiges Kerlchen, der seine Großeltern über alles liebt und nur zu gern mit seinem Opa zur Obstplantage fährt, auf der dieser arbeitet. Nach einiger Zeit stellen Peg und Lyle jedoch Veränderungen an ihrer Tochter fest. Sie betet sehr oft, scheint immer tiefer in einer dubiosen religiösen Gemeinschaft zu versinken. Sehr bald beginnen ihre Eltern sich Sorgen um sie und vor allem um den kleinen Isaac zu machen – und ihre Sorge ist berechtigt.

Meinung:
Nickolas Butler hat mich besonders durch sein anschauliches Schreiben für sich eingenommen. Kaum hatte ich die ersten Seiten gelesen, war ich gefangen - und dieses Gefühl hielt bis zum Schluss an.
"Wenn sich die morgendlichen Schatten über das Land legten, leuchtete alles in   einem verschwenderischen, dunklen Blau, doch wenn nachmittags die Sonne drüben in Minnesota im Fluss versank, wurde die Landschaft in eine unendliche Fülle aus Gold-und Messingtönen getaucht. Für einen Apfelbaum gab es keinen besseren Ort auf Erden."
"Ein wenig Glaube" wartet mit vielen solcher hervorragenden Beschreibungen auf, so dass mir das Buch trotz des schweren Themas viele schöne Lesestunden beschert hat. Dazu trägt auch die sehr glaubwürdige Charakterisierung bei. Auch hier beweist der Autor eine tolle Beobachtungsgabe. Er beschreibt Aussehen, Wesenszüge und Gespräche so detailliert, dass ich bisweilen das Gefühl hatte, ein Teil des Geschehens zu sein. Ich sah mich mit Lyle auf der Obstplantage oder der gesamten Familie im sonntäglichen Gottesdienst. Auch dadurch baut sich Spannung auf, obwohl "Ein wenig Glaube" ein leiser Roman ist. Doch die liebgewonnenen Personen, allen voran Lyle, in ein Unglück schliddern zu sehen, hat mir fast das Herz zerrissen.

"Ein wenig Glaube" ist ein Familienroman. Er beschreibt die Beziehung zwischen Lyle und seiner Frau Peg, beschreibt ihren tragischen Verlust des kleinen Sohnes und das große Glück, als sie Shiloh adoptieren. Er beschreibt die Nähe von Opa zu Enkel und auch die zu familiennahen Freuden.
Aber natürlich ist "Ein wenig Glaube" auch ein Roman über den Glauben. Auf der einen Seite steht Lyle, der seinen Glauben in dem Moment verlor, in dem sein Sohn verstarb. Peg hält nach wie vor an Gott fest, während Shiloh sich einer Sekte anschließt, für die das Gebet als Allheilmittel – auch bei schweren Krankheiten - gilt. Im Laufe der Geschichte setzt sich Lyle immer mehr mit seinem Glauben und dem Glauben an sich auseinander. Er will seiner Tochter näherkommen, will verstehen, was sie treibt und versucht auf diesem Wege auch, sie nicht vollständig zu verlieren.
Nickolas Butler behandelt das schwierige Thema sehr gut, erzählt spannend von Charlies Werdegang, einem Pastor und Lyles Freund, und bindet auch Steven, den charismatischen Führer der Glaubensgemeinschaft, in die Geschichte ein. Dieser erscheint zum Glück ambivalent, hilft Lyles Freund Hoot völlig uneigennützig dabei, einen Oldtimer wieder auf Vordermann zu bringen, predigt andererseits aber oft in harschen Worten und macht auch trotz fester Beziehung keinen Halt vor intimen Besuchen bei den weiblichen Mitgliedern seiner Gemeinschaft.

Fazit: Nickolas Butler hat ein ruhiges Buch mit emotionaler Wucht geschrieben. Ein Buch über die Facetten des Glaubens, seiner Kraft und Grenzen. Obwohl Bücher, in denen der Glaube eine große Rolle spielt, nicht zu meinen Favoriten zählen, hat mich "Ein wenig Glaube" komplett überzeugt und begeistert. Ein hervorragendes Buch und schon jetzt ein Highlight des Jahres.