Rezension

Ein Mann ohne Namen auf einer Erinnerungsreise in seine Kindheit

Der Ozean am Ende der Straße - Neil Gaiman

Der Ozean am Ende der Straße
von Neil Gaiman

Inhalt
Nach einer Beerdigung fährt unser Protagonist rastlos durch die Gegend und landet dabei in der Heimat seiner Kindheit, wo er spontan im Haus der Hempstocks, mit dem er viele Kindheitserinnerungen verbindet, vorbeischaut. Dort angekommen nimmt er den Leser mit auf eine Reise durch eben jene Kindheitserinnerungen. Als Siebenjähriger war er ein stiller Junge, der sich gut selbst beschäftigen konnte, am liebsten Bücher las, und eine blühende Fantasie besaß, die es mit dem Inhalt seiner Lektüre aufnehmen konnte. Nach dem Tod eines Untermieters seiner Eltern lernt er Letteie Hempstock von einem nahegelegenen Bauernhof, sowie ihre Mutter und Großmutter kennen, und die beiden freunden sich schnell an. Doch Lettie ist anders als andere Mädchen, in ihrer Familie gibt es nur Frauen, und hinter dem Haus, am Ende der Straße, gibt es einen Ozean, oder doch nur einen Ententeich? Als seine Eltern eine neue Haushaltshilfe einstellen, ist unserem Protagonisten und Lettie sofort klar, dass mit ihr etwas nicht stimmt, und für die beiden beginnt ein unglaubliches Abenteuer.

Meine Meinung
Unser kleiner Protagonist, der erstaunlicherweise die ganze Geschichte hindurch namenslos bleibt, ist ein angenehmer Zeitgenosse und er hat mich ein bisschen an mich selbst erinnert. Während er eher zurückhaltend ist, ist die etwas ältere Lettie ein selbstbewusstes Energiebündel, und ebenso wie ihre Mutter und Großmutter hat sie besondere Kräfte, und eine damit verbundene Aufgabe. Sie ist ziemlich mutig, und auch sie mochte ich sehr.

Die Geschichte entwickelt sich zunächst langsam, spätestens mit Ankunft der neuen Haushaltshilfe nimmt sie aber richtig Fahrt auf, und unser kleiner Protagonist kommt in arge Bedrängnis. Die Geschehnisse sind dabei sehr mystisch angehaucht, es ist haufig traurig, gelegentlich auch brutal, wenn auch nicht ausschließlich im physischen Sinne. Insgesamt ist die Geschichte ziemlich düster und hat etwas Märchenhaftes an sich. Trotzdem wird man beim Lesen keinesfalls deprimiert, denn allen Ereignissen steht die Freundschaft von Lettie und dem Protagonisten entgegen. Das Vertrauen, dass er ihr und ihrer Familie entgegenbringt, die Geborgenheit, die er bei ihnen spürt erzählt eine zweite, schöne Geschichte.

Neil Gaiman schafft es wie kein zweiter, mit Worten zu spielen und eine unglaubliche Atmosphäre zu erzeugen. Ich habe schon einige Bücher von ihm gelesen, und sein Stil ist sehr variabel, und passt sich seinen Protagonisten hervorragend an, ob es nun allerdings tatsächlich als poetisch zu bezeichnen ist, werde ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Ein bisschen ungewöhnlich fand ich den Stil hier aber schon, und hab am Anfang ein bisschen gebraucht, um reinzukommen. Die Geschichte die er hier erzählt kann von verschiedenen Standpunkten aus gelesen und interpretiert werden, was sie besonders spannend macht. Allerdings hätte ich mir hier fast einen kleinen Lektüreschlüssel gewünscht, um die Ereignisse richtig zu interpretieren. Als kleiner Bonus hat das Buch auch einige Bilder zu bieten, die sehr gut zur Geschichte passen, und eine tolle Überraschung waren.

Fazit

“Der Ozean am Ende der Straße“ ist eine Art düsteres Märchen, mit einer ganz besonderen Atmosphäre und Charme. Der Interpretationspsielraum macht es wahrscheinlich zur perfekten Lektüre für den Deutsch- oder Englischunterricht. Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, die fantastischen Ereignisse zu deuten. Wer ungewöhnliche Bücher mag, ist hier richtig.