Rezension

Ein Muss für Fans von historischen Romanen und Familiensagas à la Downton Abbey

Das Palais Reichenbach - Josephine Winter

Das Palais Reichenbach
von Josephine Winter

Bewertet mit 5 Sternen

Berlin, 1926. In der ostdeutschen Metropole pulsiert das kulturelle Leben. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges verblassen langsam, sind nicht mehr omnipräsent. Es ist eine neue Zeit angebrochen, in der es gilt, das Leben zu feiern und an erdrückenden Konventionen zu rütteln. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist tiefer denn je und das mittellose Volk begehrt auf: es verlangt die Enteignung des Adels.
Dramatische Zeiten liegen vor der vornehmen Familie Reichenbach und am Ende des Jahres 1926 wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.

Autorin Josephine Winter hat ein mitreißendes historisches Werk erschaffen, das mich restlos begeistert hat! Bereits das wunderschöne, in warmen Goldtönen gehaltene Cover sprüht vor glamourösem Esprit und die Abbildung weckt die Neugier darauf zu erfahren, auf welche Weise das Schicksal der elegant gekleideten jungen Dame mit dem imposanten Stadtpalais zusammenhängen mag. Sowohl die exquisite Schriftart des Buchtitels als auch die dekorativen Ornamente am Rande des Covers erinnern an schillernde Filmplakate und erzeugen einen hochwertigen Eindruck. Vage tauchen Bilder der aus dem Jahre 2013 stammenden Verfilmung des großen F. Scott Fitzgerald Klassikers „The Great Gatsby“ vor dem inneren Auge auf.

Im Fokus des Romans steht das Klassensystem der Weimarer Republik, welches am Beispiel der hochverschuldeten Fürstenfamilie Reichenbach, die mit aller Macht an ihrem distinguierten Ruf festzuhaltenden versucht, eindrucksvoll beschrieben wird. Jedes Familienmitglied hat eine andere Vorstellung davon, wie das finanzielle Desaster am besten abzuwenden sei. Familienoberhaupt Fürst Paul, der an das Ehrgefühl der Bürger/innen appellieren möchte, sieht sich zudem mit einem aufbegehrenden Sohn konfrontiert: Prinz Fridolin befürwortet die Ansichten der (antisemitischen) Deutschnationale Volkspartei, erhofft sich durch deren Unterstützung eine Rückkehr zur Monarchie - unabhängig davon, was diese Entwicklung für seinen besten Freund, den Juden Levi, bedeuten mag. Fürstin Juliane hingegen setzt alles daran, ihre drei Kinder vorteilhaft zu verheiraten - wahre Liebe ist ein Luxus, den sich die Familie nicht leisten kann und es müssen Opfer gebracht werden. Dies gilt auch für die Angestellten des Hauses, deren Essensrationen rigoros gekürzt werden bei gleichzeitiger Erhöhung des Arbeitspensums eines jeden Individuums. Einzig Prinz Georg und Prinzessin Ina leben unbekümmert in den Tag - so scheint es. Allerdings verbirgt jeder von ihnen ein Geheimnis, das die ungeschriebenen Gesetze der damaligen Gesellschaft aus den Fugen heben und für einen Eklat sorgen könnte.

Die leider so oft mit historischen Romanen einhergehende Langatmigkeit eines Werkes bleibt hier gänzlich aus, stattdessen wird die Spannung gekonnt bis zum Schluss aufrechterhalten. Spielerisch lässt die Autorin mit detaillierten Beschreibungen und authentischen, zeitgerechten Dialogen die Goldenen Zwanziger Jahre in der Weltstadt Berlin auferstehen und verzaubert mit tiefgründigen, emotional ansprechenden Charakteren. Besonders den sanftmütigen Prinzen Georg sowie die frisch verliebte Prinzessin Ina habe ich aufgrund ihrer Liebenswürdigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen sofort ins Herz geschlossen. Auch die elegante Dame des Hauses, Fürstin Juliane, ist mir nach und nach auf ganz eigensinnige Weise ans Herz gewachsen. Bemerkenswert hierbei ist nicht nur, dass die Leserschaft sich mühelos in die Gedankengänge der liebevoll gestalteten Protagonisten/innen hineinversetzen kann, sondern auch, dass J. Winter großen Wert darauf gelegt hat, neben dem Schicksal der privilegierten Familie ebenso das Lieben und Leiden des Hauspersonals mit gleicher Sorgfalt und emotionaler Intensität zu schildern. Witzige Nebencharaktere, die zum Teil in bester Berliner Mundart brillieren, tragen angenehm zum Gesamteindruck der Geschichte bei. Als ehemalige Einwohnerin Berlins hat es mich gefreut, über vertraute Straßenzüge und Plätze zu lesen. Einen bedeutenden Nebenspielplatz der Handlung nimmt das inzwischen leider zerstörte Künstlerlokal “Das Romanische Café“ ein, das einst als Anlaufstelle für Künstler/innen (und solche, die es werden wollten) galt.
Die Autorin scheut sich nicht, gewisse Fragen unbeantwortet zu lassen und die Phantasie der Leser/innen anzuregen. Die Sprache ist klar und die kunstvoll ineinander verflochtenen Handlungsstränge ergänzen sich zu einem wohlstrukturierten Gesamtwerk.

Den überaus flüssigen Schreibstil kann ich nicht genügend loben - selten habe ich einen historischen Roman gelesen, bei dem trotz erschütternder Schicksalsschläge und überraschender Wendungen ein Gefühl der Leichtigkeit überwiegt - das Leben geht weiter, weil es eben muss und weil es nicht anders kann; dies spiegelt sich auch in der bildreichen Wortwahl wider, die keine dauerhafte Tragik zulässt, sondern vielmehr das Leben und die Liebe zelebriert.

Fazit: Das Werk hat mich positiv beschwingt, ergriffen und faszinierter denn je mit dieser interessanten Epoche zurückgelassen. Ein Roman über Liebe, Loyalität, Familie und Freundschaft. Ganz großes Kino - besser geht es nicht! Zweifelsohne zählt „Das Palais Reichbach“ fortan zu meinen Lieblingswerken, daher gibt es eine uneingeschränkte und begeisterte Leseempfehlung von mir!