Rezension

Ein Must-Read dieses Jahres! - einfach unglaublich gut!

Das Haus der Verlassenen - Emily Gunnis

Das Haus der Verlassenen
von Emily Gunnis

Bewertet mit 5 Sternen

Ich muss vorneweg erstmal das Cover loben: Ich finde das Cover passt perfekt zum Buch. Irgendwie fühle ich mich beim Betrachten eingesperrt, obwohl ich ja auf der anderen Seite des Zaunes stehe. Das Haus und die Auffahrt wirken durch die düsteren Farben gruselig. Das Haus wirkt geheimnisumwittert. Ich finde besser könnte das Cover gar nicht gewählt sein. – Vor allem wenn man es nach der Lektüre des Buches nochmal betrachtet, fallen einige Details bzw. Hinweise ins Auge. In echt sieht das Cover übrigens noch viel besser aus, als auf den Fotos! 

1959: Das Buch beginnt mit dem Selbstmord einer jungen Frau namens Ivy, die in einem von Nonnen betriebenen Mutter-Kind-Haus lebte. Ihre Tochter, Rose, war ihr weggenommen worden, der Vater des Kindes, Alistair, zeigte keinerlei Interesse an ihr oder dem gemeinsamen Kind und statt nach Hause zurückkehren zu dürfen, sollte Ivy in eine Psychiatrische Anstalt gebracht werden. Dieses Schicksal kann und will Ivy nicht ertragen, also wählt sie den Freitod, mehr noch, sie hofft dadurch auch einem Kind namens Elvira zur Flucht verhelfen zu können. 
Dann gibt es einen Zeitsprung ins Jahr 2017. Ich mag ja Bücher, die auf mehreren Ebenen spielen, aber die Vergangenheit nach so einem fiesen Cliffhanger zu verlassen und in die Gegenwart zu springen ist schon echt gemein. Aber zurück zur Handlung. 2017 geht es um Sam, eine Reporterin und Mutter einer 4-jährigen Tochter und Kitty, die, wie wir aus Ivys Abschiedsbrief erfahren haben, Elviras Zwillingsschwester ist. Sams Großmutter findet einen versteckten Brief von Ivy aus dem Jahr 1956 und Sam will unbedingt herausfinden, was damals passiert ist, vor allem, als sie neben weiteren Briefen auch noch herausfindet, dass viele der Personen, die Ivy in ihren Briefen erwähnt unter teils mysteriösen Umständen verstarben – nimmt da vielleicht jemand Rache für Ivy? 

Anschließend gibt es weitere Zeitsprünge und Perspektivenwechsel. Jedes Kapitel ist aus der Sicht einer anderen Person geschrieben und ständig springt man unterschiedlich weit in der Zeit zurück. Man könnte meinen, dadurch wirke das Buch chaotisch oder ungeordnet, aber ich finde diese Art der Gestaltung für diesen Roman sehr passend. Es gibt so viele Geheimnisse und Theorien und immer springt man in der Zeit zurück und statt aufgeklärt zu werden, ob die Theorie stimmt, bekommt man nur ein paar wenige Hinweise, die im Endeffekt nur noch mehr Fragen verursachen.

Man erlebt Ivys Geschichte und ich kann mich einfach nicht entscheiden, ob ich mehr Mitleid mit Ivy habe oder mehr Wut auf alle anderen Beteiligten: Ihre Familie, ihren Freund, die Nonnen, die Gesellschaft der 1950er Jahre, die diese Mutter-Kind-Häuser geduldet und gefördert haben. Ich finde es einfach schrecklich, dass diese jungen, unverheirateten Frauen quasi alle Rechte verloren, nur weil sie schwanger waren. Dass sie eingesperrt und misshandelt, ja sogar gefoltert wurden, dass ihnen die Kinder genommen und sie gezwungen wurden, sie zur Adoption freizugeben und sich einfach niemand mehr für sie interessiert hat – dieses Verhalten hätte ich eher im Mittelalter erwartet, aber nicht mehr in den 1950er Jahren! 
Man erfährt einiges über die Geschichte von Elvira durch Kitty aber jede Information muss man mit neuen Fragen bezahlen. Irgendwann glaubt man nichts mehr, was als „bekannt“ vorausgesetzt wird und wenn die Aussage von Pater Benjamin, Doktor Jacobson oder einer Nonne kommt, erstrecht nicht. Bald stellt sich heraus, dass nichts so ist wie es scheint.

Mich hat das Buch gleichermaßen erschüttert und gefesselt. Ich habe schon durch Bücher, Filme und Serien gehört, dass es solche Heime gab, aber noch nie wurden sie mir so nahe gebracht wie in diesem Roman. Ich wünschte mir vom Prolog an, dass Ivy vielleicht doch überlebt hat, andererseits machte ich mir selbst für diesen Wunsch Vorwürfe, weil es ihr bestimmt schrecklich ergangen wäre. Das gleiche gilt auch für Elvira. Das Buch ist ein absoluter Pageturner, aber gleichzeitig bekommt man beim Lesen Magenschmerzen aus Mitgefühl, Fassungslosigkeit und Wut. Ich kann es einfach nicht für mich verwinden, dass Menschen so mit anderen Menschen umgegangen sind. Dass diese Menschen jeglichen „Wert“ für die Gesellschaft und ihr Umfeld verloren haben, nur weil sie nicht so funktioniert oder gehandelt haben, wie es sich die anderen gewünscht haben. Ich bin einfach erschüttert und traurig darüber.

Fazit: ich fand das Buch wirklich richtig, richtig gut. Allerdings ist es wirklich harter Tobak. Ich habe sehr viel geweint (3 Päckchen Taschentücher) und war auch noch ein paar Stunden nach dem Lesen für mein Umfeld ungenießbar. Ich kann das Buch aus vollem Herzen empfehlen, aber rate allen, die wie ich total in eine Geschichte eintauchen und mitfühlen, das Buch mit Vorsicht und am Besten mit einer Wolldecke und einer anschließenden „Aufmunterung“ (heiße Schokolade oder Muffins oder ausgiebiges Haustier streicheln) zu genießen. Hinterher hat man eine richtige Achterbahn an Gefühlen durchlebt und zumindest mir hing das Buch auch noch eine Weile nach. ABER: ich finde es absolut genial, vor allem die Wendung und Auflösung im letzten Drittel, wenn endlich alles Sinn ergibt!

Ein Must-Read dieses Jahres!

Kommentare

hobble kommentierte am 06. Mai 2019 um 05:53

was fürs wunschregal

Dark Rose kommentierte am 06. Mai 2019 um 12:45

Definitiv! Ich kann das Buch wirklich jedem nur ans Herz legen, es lohnt sich!