Rezension

Ein neues Lieblingsbuch

Das Buch der vergessenen Artisten - Vera Buck

Das Buch der vergessenen Artisten
von Vera Buck

Bewertet mit 5 Sternen

Was wunderbares Buch. Man taucht ein und kann es nicht mehr weglegen. Mir hatte schon „Runa“ sehr gefallen, aber dieses Buch toppt es noch einmal. 
Vera Buck sucht sich Nischen, historische Randbereiche, von denen nicht so oft erzählt wird. Das ist toll, hoch interessant und schafft ungewöhnliche historische Romane. 
Hier geht es um Artisten, Schausteller, Zirkusmenschen, die sonst gelegentlich als Kuriosität in Büchern auftauchen. Hauptfiguren sind sie selten, dabei ist ihr Leben wirklich erzählenswert. 

Mathis und Meta sind ein ungleiches Paar. Mathis ist Durchleuchtungskünstler. Mit einem Röntgenapparat zieht er von Markt zu Markt und lässt die Zuschauer ihr Inneres betrachten, 1904 ist das ein großer Spaß. Er ist glücklich mit diesem Leben, nur seine Gesundheit macht ihm ein wenig zu schaffen. Meta, die Kraftfrau, hat nur eine Schwäche. Ihr Bruder Ernsti ist auf sie angewiesen. Ernsti spricht nicht, hat aber immer wieder heftige Wutausbrüche. Man muss gut auf ihn aufpassen. 

Ihre Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, die sich abwechseln. 1902 ist Mathis 15 Jahre alt und 13. Sohn eines Bohnenbauers. Mehr oder weniger durch Zufall landet er im Schaustellergewerbe. 
1935 beginnt er ein Buch zu schreiben. Als mit dem Beginn der Naziherrschaft immer mehr seiner Freunde und Kollegen grundlos verschwinden, schreibt er ihre Geschichten auf. Das Buch der vergessenen Artisten. 

Mit feiner Ironie, bisweilen recht schwarzem Humor, erzählt Vera Buck von Mathis und Meta, aber auch von zahlreichen anderen Berühmtheiten, bekannten und unbekannten. Hansi Elastik, der Hautmensch und Olga, das Kolossalmädchen haben ebenso ihren Auftritt, wie der junge Charlie Chaplin oder Metas seltsamer Nachbar, der Kunststudent mit Namen Hitler. 
Sehr seltsam wirkt für uns heute dieser Zeitgeist, wo besondere Menschen als Kuriositäten ausgestellt wurden, Völker- und Tierschauen gleichermaßen interessant waren, das Geschäft mit der Sensationsgier immer halsbrecherische Vorführungen hervorbrachte, bis das Naziregime einen Trendwechsel einleitete. Weder Kolossalmädchen noch Kraftfrauen entsprachen dem arischen Idealbild, Fremdländisches wurde verbannt und nicht bewundert, fahrendes Volk war plötzlich unerwünscht. 

Die Autorin schafft es mit leichter Hand, historische Fakten mit einer wirklich fesselnden Geschichte zu verbinden. Es amüsiert und berührt und steigert sich zu einem nervenzerfetzenden Drama. Dieses Buch hat Sogwirkung. 
Ich bin wieder einmal sehr begeistert, habe ein neues Lieblingsbuch und freue mich jetzt schon auf das nächste Buch von Vera Buck. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. Oktober 2018 um 17:42

Ich lese extra nicht mehr als den Anfang. Besser noch als Runa? Unglaublich. Was muss das für ein herrlicher Schmöker sein.

Sursulapitschi kommentierte am 10. Oktober 2018 um 18:12

Hast du Runa gelesen und ich hab es nicht gemerkt?

wandagreen kommentierte am 10. Oktober 2018 um 18:24

Nein, aber ich hab so was wie ein Gedächtnis!

Emswashed kommentierte am 11. Oktober 2018 um 08:08

Das hört sich wirklich gut an und ohne Deine Rezi wäre ich an dem Buch vorbeigegangen. P.S. Nachtrag nur für Wanda - In Grass Blechtrommel kommt auch eine ganze Episode mit Zirkusleuten vor. ;-)

wandagreen kommentierte am 11. Oktober 2018 um 16:26

Aber Ems: ich habe Die Blechtrommel gelesen. Plus Film geguckt Und die drei Bücher der Danziger Trilogie. Dann wars aus. Vllt sind seine neuesten ja gut gewesen, ich kanns nicht sagen. Er hatte mich verschreckt. Andererseits, du hast recht, es ist echt lang her und ich weiß nimmer allzu viel daraus.

Emswashed kommentierte am 12. Oktober 2018 um 07:23

Wollte Dich ja auch nur ärgern! P.S. Hätte ich Grass jetzt eigentlich mit 3 s schreiben müssen? Grasss Blechtrommel?

wandagreen kommentierte am 12. Oktober 2018 um 08:29

Wird Zeit, dass wir das englische Apostroph einführen.