Rezension

Ein Ostmärchen, das keines ist. Und die Erkenntnis, dass wir keine Märchen brauchen

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße -

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
von Maxim Leo

Bewertet mit 3.5 Sternen

Heldengeschichten gibt es viele. Doch was, wenn der Held nur aus Versehen so gehandelt hat, wie er gehandelt hat, macht es die Konsequenz weniger wert?

Michael Hartung, ein in jeder Hinsicht durchschnittlich bis schlecht dastehender Videothekenbetreiber wird plötzlich der Protagonist eines Ostmärchens, in welchem er sein Leben in Gefahr brachte, um seiner Angebeteten ein Leben im Westen zu ermöglichen, ohne sich selber zu erretten. Ein Widerstandskämpfer, der sich gegen das Stasi-Regime stellte und Wochen der Inhaftierung und Folter ertragen musste, nur um dann zu verstummen und niemanden von seiner Heldentat wissen zu lassen. Scheinbar. Denn dass diese Errettung die Folgen eines Unfalls waren, seine Angebetete nie in dem Zug gesessen hat, der versehentlich in den Westen umgeleitet wurde und Michael Hartung nicht ansatzweise gegen das Regime aufbegehrt hat, verkauft sich nicht so gut. Doch als ein Journalist diese Geschichte aufbläst und als ein heroisches Ostmärchen vermarktet, kann sich unser Held der Anerkennung nicht länger entziehen und lässt sich ein auf ein Leben im Ruhm.

Mit sehr viel Leichtigkeit und Humor erzählt Maxim Leo die Geschichte eines Protagonisten, der sich zwischen den Stühlen befindet. Ost und West, Held und Durchschnittsbürger, einsamer Junggeselle und geliebter Vater und Freund. Gestern der erfolglose Videothekenbesitzer, dessen Highlight es war, alte Kinderfilme zu sehen und sich (leichtfertig viel) Alkohol zu genehmigen. Nun ein gefeierter Star, der etwas symbolisieren soll, was die Leute in ihm sehen wollen und deshalb von ganz oberster Instanz instrumentalisiert wird. Ein Mann, der aus der DDR stammt und sich nun von Westdeutschen zu einer Edelfigur formen lassen muss, um etwas zu präsentieren, was er nicht ist. Eine herrlich komische Ironie.

Der Autor gibt interessante Denkanstöße in Bezug auf die leider immer noch bestehende emotionale und mentale Trennung zwischen Ost und West und geht mit beiden Seiten gleichzeitig liebevoll aber auch kritisch ins Gericht. Dabei aber immer mit einer Prise Humor. Tatsächlich versteckt sich zwischen der ganzen Leichtigkeit viel Wahrheit, die mir auch, als jemand mit sehr wenig Berührungspunkten mit der Thematik, einige neue Perspektiven eröffnet hat.

Ein Ostmärchen, das keines ist. Und die Erkenntnis, dass wir überhaupt keine Märchen brauchen, um unsere Einigung zelebrieren zu können.