Rezension

Ein poetischer Familienroman mit Perspektivenvielfalt

Die Eismacher
von Ernest van der Kwast

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Bürde jahrelanger Tradition

Die beiden Söhne der traditionsreichen Eismacherfamilie Talamini könnten unterschiedlicher nicht sein. Während der ältere Giovanni sein Herz der Poesie und Dichtkunst geschenkt hat, opfert sich der jüngere Luca im elterlichen Eiscafé auf, um immer wieder neue, schmackhafte Eiskreationen herzustellen und damit das Geschäft rentabel zu halten. Doch gerade diese gegensätzlichen Lebensentwürfe treiben nicht nur einen emotionalen Keil zwischen die beiden Brüder, sondern spalten die gesamte Familie. Gebunden an die jahrelange Verpflichtung, die im Erbe inbegriffen scheint, engagieren sich die Söhne der Familie normalerweise in der Eisherstellung und als es der erste Talamini-Nachfahre wagt, neue Wege zu beschreiten, wird er zum schwarzen Schaf. Doch eines Tages ergibt sich für Giovanni die Möglichkeit, seine Verfehlungen zu minimieren, indem er seinem jüngeren Bruder hilft, den Stammbaum weiterzuführen.

Meinung

Dies war mein erster Roman von Ernest van der Kwast, der mich in weiten Teilen absolut überzeugen konnte, weil er sehr gekonnt und umfassend die verschiedenen Belange und Wünsche von diversen Familienmitglieder einfängt, von ihren Interaktionen miteinander oder auch dem Fehlen eines echten Gesprächspartners. Familie wirkt hier wie ein lebendiges Gebilde, welches Stärken und Schwächen des Einzelnen auffangen kann oder erst vermag sie zu offenbaren. Der Autor verwendet eine poetische Sprache, die dennoch recht schnörkellos aufgenommen werden kann. Auch den großen Rahmen den er schafft, begonnen mit der Errungenschaft des Urgroßvaters bis hin zum derzeitigen Eismacher konnte mich begeistern. Weil die Sichtweise des Einzelnen voll und ganz zur Geltung kommt, weil es Söhne gibt, die mit Herzblut bei der Sache sind und solche, die sich für ihr Leben etwas Anderes vorstellen können und der ständigen zeitlichen und räumlichen Gebundenheit, die die Eisherstellung erfordert, am liebsten entrinnen möchten.

Ein weiteres Plus des Buches: Es handelt sich nicht um eine einfache Familiengeschichte, sondern auch über die Frage danach, was braucht man um glücklich zu sein, wie wirkt sich die persönliche Lebensweise auf eine Familie aus, welche Verfehlungen sind entschuldbar und welche Dinge rückt auch die Zeit nicht mehr ins rechte Lot. Gerade diese umfassende Betrachtungsweise hat mir sehr gut gefallen, weil sie lebensecht und stets präsent scheint.

Meine Kritikpunkte fallen hier kaum ins Gewicht, denn mich haben lediglich die längeren Ausflüge Giovannis in sein Leben zwischen Künstlern, Hotels und poetischen Dichtern gelangweilt, die sich doch häufen, ohne jemals ein Ende zu finden. Giovanni als Mann von Welt, der an die wahre Liebe glaubt und dessen Herz die Talaminis nie verlässt, obwohl er diese zeitweise aus seinem Leben ausschließt. Auch die eingeflochtenen Verse und Gedichtfetzen empfand ich überflüssig und habe an entsprechenden Stellen quergelesen.

Fazit

Ich vergebe 4,5 Lesesterne und eine Leseempfehlung für diesen gelungenen, zeitlosen Roman, der geprägt von Liebe und Verantwortung diverse Lebenswege und Entwürfe thematisiert und ein umfassendes, stilles, unprätentiöses Familienportrait schafft, welches Platz für Wünsche, Geheimnisse, Sehnsüchte und Kompromisse der Beteiligten lässt. Ehrlich, beständig und realitätsnah – die Kernaussage des Buches ist wie aus dem Leben gegriffen.