Rezension

Ein Prosit der Gemütlichkeit?!

Oktoberfest - Christoph Scholder

Oktoberfest
von Christoph Scholder

Bewertet mit 4 Sternen

Der zweite Wiesn-Sonntag. Weiß-blau erstreckt sich der Himmel über München, Tausende strömen auf das größte Volksfest der Welt. Partystimmung, so weit das Auge reicht, ausgelassen tanzen die Leute in den riesigen Zelten. Niemand ahnt, dass dieser Nachmittag um exakt vier Minuten vor sechs in einem Höllenszenario enden wird. Denn genau zu diesem Zeitpunkt gibt Oleg Blochin, der skrupellose Kommandeur einer russischen Elite-Soldateska, seinen Männern den Befehl, das Betäubungsgas im ersten Bierzelt freizusetzen. Und das ist erst der Anfang: Schlag auf Schlag geht es weiter, 70 000 Menschen werden zu Geiseln in einem hochriskanten Spiel auf Leben und Tod...

"Über uns sind nur die Sterne..."

Der Roman beginnt eher verwirrend mit einer Vielzahl von Rückblenden auf Ereignisse und Personen, deren Sinn und Zusammenhang  erst später erfasst werden kann. Zum einen werden vergangene Episoden einer verschworenen russischen Eliteeinheit in den Wirren verschiedener Kriege vorgestellt sowie in Zeitsprüngen die geschickte und skrupellose Beschaffung militärisch hochsensibler Gerätschaften durch unbekannte Personen. Zum anderen werden der Münchner Transportunternehmer Karl Romberg sowie sein Kompagnon Wolfgang Vogel in Rückblenden vorgestellt, eher farblose Persönlichkeiten, bei denen man sich fragt, welche Rolle sie wohl in dem Thriller spielen werden.
Als es jedoch auf die Wiesn geht, steigt die Spannung sprunghaft an. Die Menschen strömen auf das Festgelände, Fröhlichkeit und Feierlaune dominieren das Bild, 'Ein Prosit der Gemütlichkeit' hallt durch die Zelte. Auch Wolfgang Vogel lässt sich das Oktoberfest nicht entgehen. Ein großer Lieferauftrag für das große Ereignis soll mit einem ausgiebigen Besuch gemeinsam mit seiner Freundin gefeiert werden. Noch ahnt niemand die stille Bedrohung, die über den Besuchern liegt, doch die akribischen Vorbereitungen der unbekannten Täter zeigen Wirkung. Mit einem Schlag werden die Festzelte verriegelt, die Besucher betäubt, 70000 Geiseln gefangengesetzt.

"The gas is back in Germany..."

Als die Dimension der Geiselnahme sowie die Forderung der Geiselnehmer bekannt werden, ist klar, dass dies kein Fall allein für die bayrische Politik und Polizei ist. Vom Bundeskanzler an - die hohen Stellen werden namenlos allein mit der Stellenbezeichnung benannt - ist hier die Bundesregierung gefordert, die Spezialeinheiten der Polizei, das Militär. Und Wolfgang Härter. Ein militärisch geschulter Mann in geheimer Mission, so geheim, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt. Unter Decknamen taucht er an Krisenherden auf, um nach Beendigung der Krise ungesehen wieder zu verschwinden. So auch in München.
Wolfgang Härter gegen General Oleg Blochin, den Anführer der militärisch geschulten Erpresser, gut gegen böse, James Bond gegen Dr. No. Aber auch wenn die Figuren eher blass und eindimensional gezeichnet sind und Christoph Scholder hier tief in die Klischeekiste greift, ist die Geschichte alles andere als platt. Die Handlung ist gut durchdacht, in sich schlüssig und kann über weite Strecken einen hohen Spannungsbogen halten. Überdies wird deutlich, welch intensive Recherche der Autor vor dem Schreiben betrieben haben muss. Auch wenn ich mit der Vielzahl an militärischen Begriffen, Einrichtungen, Rängen und Abläufen teilweise überfordert war, wird deutlich, dass Scholder weiß, wovon er da schreibt. Ebenso wie von den gesetztlichen Grundlagen für politische Entscheidungen in derartigen Krisensituationen.

"Eine gewisse Mortalität war eingeplant..."

Ein erschreckendes Szenario hat Christoph Scholder da entworfen, durchaus gespickt mit brutalen Szenen, doch gerade wenn es einen so richtig schüttelt, erfolgt ein Szenenwechsel, der den Leser auf eine ganz andere Ebene katapultiert. Die wechselnden Handlungsstränge erhöhen die Spannung, da die unterschiedlichen Perspektiven den Eindruck eines Schachspiels erwecken. Vorausschauend denken, den nächsten Zug des Gegners erahnen und entsprechend handeln - und erst später wird sich erweisen, ob der Zug erfolgreich war oder vielleicht fatal.
Der Schreibstil ist flüssig, meist geprägt von kurzen knappen Sätzen, die jedoch gerade in der Beschreibung von militärisch-politischen Sachverhalten und Zusammenhängen eine hohe Fülle an Informationen beinhalten, so dass hier höchste Konzentration beim Hören erforderlich ist.

Gelesen wird das ungekürzte Hörbuch (16 Stunden, 56 Minuten) von dem Schauspieler Detlef Bierstedt, der auch als Synchronsprecher für Schauspieler wie George Clooney, Bill Pullman, Will Ferrell und Tom Hanks fungiert. Passend zum Schreibstil eher sachlich und emotionslos gelesen, brachte Bierstedt mich mit dem Versuch des bayrischen Akzents zuweilen doch zum Schmunzeln, da ihm dieser nicht immer gelang. Aber insgesamt war es eine überzeugende Lesung.

Für mich vielleicht ein wenig zu sehr à la James Bond und etwas zu militärlastig, aber insgesamt eine unterhaltsame und spannende Lektüre.
 Vielleicht eher ein Thriller für Männer? Aber womöglich bediene ich damit nur unfreiwillig selbst gewisse Klischees...

© Parden