Rezension

Ein psychologischer Roman, der nur teilweise zu überzeugen vermag

Die Rache ist mein -

Die Rache ist mein
von Marie Ndiaye

Bewertet mit 3 Sternen

Eines Tages tritt ein Mann in das Büro der Anwältin Maître Susane. Gilles Principaux bittet sie, seine Frau zu verteidigen, die ihre Kinder umgebracht hat. Maître Susane glaubt Gilles Principaux wiederzuerkennen. Denn da ist die Erinnerung an einen Jungen, in dessen Zimmer sie als zehnjähriges Mädchen einige Stunden verbracht hat. Ist Gilles Principaux wirklich dieser Junge? Was ist in dem Zimmer geschehen? Und schließlich: Warum hat Madame Principaux ihre eigenen Kinder umgebracht? 

NDiaye hat mit “Die Rache ist mein” sicherlich einen außergewöhnlichen Roman geschrieben, der vor allem auf thematischer Ebene zu überzeugen vermag. Hier porträtiert er die Lebensentwürfe und Kämpfe seiner weiblichen Figuren, untersucht das Motiv des Mordes an den eigenen Kindern, spricht soziale Fragen sowie den Kolonialismus und seine Folgen an. 

In stilistischer Hinsicht spielt der Roman mit den Grenzen zwischen Wahrnehmung und Realität und mit der Unzuverlässigkeit seiner Protagonistin. Stets muss sich der Leser die Frage stellen, wie sehr man wem in dieser Geschichte vertrauen kann und wo Verdrängungen, Verklärungen und Projektionen enden. Einige Szenen stechen in ihrer Erzähltechnik außerdem besonders hervor und prägen sich ein. Da ist zum Beispiel der mehrere seitenlange Erklärungsmonolog der Mutter, in dem jeder Satz durch die Präposition “aber” eingeleitet wird. Doch an anderen Stellen wirkt das Erzählte angestrengt, aufgesetzt und kann sich nur stockend und mit Mühe entfalten. Es fehlt dann an Natürlichkeit, an einem Erzählfluss, der den Leser mit sich zu tragen weiß und die Symbole und Anspielungen nehmen überhand, der Stil ist verschachtelt, distanziert. 

Der Roman ist ein psychologisches Labyrinth, das es dem Leser nicht leicht macht und sich ihm nur mühsam offenbart. Handlungsstränge werden manchmal nicht weitergeführt. Vieles ist bis zum Schluss offen, nicht ganz (be-)greifbar. Es scheint, als würden sich manche Ideen im Dunkeln verlieren oder zwischen den Zeilen stecken bleiben. “Die Rache ist mein” kann daher nur mit Einschränkungen empfohlen werden.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 25. Dezember 2021 um 19:20

Eine tolle Rezi! Auch wenn der Roman von mir einen Stern mehr bekommen hat, so kann ich super nachvollziehen, was du hier kritisierst!

ysmn kommentierte am 26. Dezember 2021 um 15:01

Danke dir! Habe gerade deine Rezension gelesen, die ich auch ganz toll finde! Letztlich ist es einfach Geschmackssache, wie sehr einem NDiayes Stil gefällt, denke ich. :)