Rezension

Ein Roman der durch den Mainstream bricht – Intelligent, komplex und lesenswert

Wer war Alice
von T. R. Richmond

Bewertet mit 4 Sternen

Inhaltsangabe:

Die Nachricht über den Tod der 25 jährigen Alice Salmon verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die Social Media Kanäle. An ihrem letzten Abend wollte sie sich mit Freunden treffen, doch am nächsten Morgen wird ihre Leiche im Fluss gefunden.

Was geschah in dieser letzten Nacht? Ist Alice gestürzt? Hatte sie zu  viel getrunken? War es ein tragischer Unfall oder ein Mord?

Professor Jeremy Cooke, ihr ehemaliger Professor, ist zutiefst von Alice Tod betroffen. Er beginnt Informationen über ihre letzten Schritte zu sammeln. Er befragt Familie und Freunde, sammelt alles über Alice was er finden kann und will herausfinden, wer Alice wirklich war. Als er ein Buch über Alice schreibt, erhält er Drohungen und erntet Kritik für seine Interpretationen von vielen Seiten, doch er lässt sich nicht beirren und schreibt weiter, denn er will wissen, was Alice nach ihrem Tod hinterlässt.

Das Cover:

Das Cover zeigt Alice Gesicht, nach dem sie tot im Fluss aufgefunden wurde. Zarte Wassertropfen benetzen noch ihre Haut. Das in Dunkelheit gehüllte blasse Gesicht übt eine düstere Stimmung auf mich aus, die mich durch die ganze Geschichte begleiten wird.

Der Autor:

T. R. Richmond ist ein preisgekrönter Journalist, der für die lokalen, regionalen und nationalen Zeitungen, Zeitschriften und Websites geschrieben hat. Die Übersetzungsrechte von „Wer war Alice“ wurden in über 20 Länder verkauft.

Reflektionen:

T. R. Richmond erzählt die Geschichte von Alice Salmon und was sie nach ihrem Tod hinterlässt in einer Art Briefroman. Mit Hilfe von Facebook Beiträgen, Texten, Briefen, Tweets und Tagebucheinträgen von Alice und ihren Freunden beginnt der Anthropologe Professor Jermey Cooke alles über das komplexe Leben der jungen Alice zu recherchieren. T. R. Richmonds Debüt ist eine Coming-of-Age-Geschichte. Am Ende schreibt Professor Jeremy Cooke sogar ein Buch und gibt Einblicke in Alice Leben, die sie fast wieder zum Leben erwecken.

Wer mag findet Alice Profil bei Facebook (https://www.facebook.com/alice.salmon.52?fref=ts), einen Brief von ihr (http://www.foyles.co.uk/cms-uploaded/A letter from Alice.pdf) sowie die Webseite von Professor Jeremy Cooke (http://professorcooke.tumblr.com).

Die Geschichte, die sich absolut von dem Mainstream abhebt, hat mich von Anfang an gefesselt. Erst las ich wissbegierig im rasanten Tempo, dann hatte ich einen Hänger, doch schließlich habe ich das Buch fast wie einen Pageturner gelesen und genossen.

Mein Hänger stellte sich so dar, dass ich zwischendurch einfach nicht immer wusste wer da gerade einen Satz oder Dialog  von sich gegeben hat. Ich habe zurückblättern müssen, um zu verstehen. Die Figur des Professor Jeremy Cooke, ich nenne ihn ab sofort hier nur noch Jem, schreibt viele Briefe an seinen Freund Larry. In diesen Briefen schreibt er von Gesprächen und Ereignissen in der Gegenwartsform, bedeutet, innerhalb des Briefes wechselt die Perspektive, was mich anfangs manches Mal irritiert hat. Ich merkte sehr schnell, dass man dieses Buch nur in absoluter Konzentration lesen und genießen kann. Wer glaubt diesen Roman zwischendurch lesen zu können, der wird von dieser Geschichte bitter enttäuscht sein, da er sie einfach dann nicht voll umfänglich erfassen kann.

Die Komplexität dieses Briefromans empfinde ich als ein Meisterwerk. Es ist großartig, wie alle Puzzleteile harmonisch ineinander fließen und ich schreibe hier von einem Debüt!

Der Schreibstil und die Sprache von T. R. Richmond haben mich begeistert, auch wenn ich gestehen muss, dass Buch als anstrengend empfunden zu haben.

Schauplätze finden in diesem Roman keine besondere Bedeutung, da es sich hauptsächlich um die schriftstellerische Verarbeitung von Nachrichten handelt. Facebook, Twitter und Co. sind die Orte, an denen Jem über Alice recherchiert, um zu erfahren wer sie wirklich war.  Er erforscht die Wahrheiten schnell dahingeschriebener Posts und Threads aus Alice Freundes- und Bekanntenkreis, entdeckt soziale Fußabdrücke in der Welt der Online-Identitäten und verarbeitet diese in den Briefen an seinen Freund Larry.  In den zahlreichen Nachrichten trifft er auf Liebe, Schmerz, Rache, Verlust und Erlösung, die Alice Leben und das Leben ihrer Familie und das ihrer Freunde maßgeblich prägten.

Jem erfährt viel Widerstand, gegen das was er da tut. Die Meinungen über ihn schwanken zwischen Lustmolch bis hin zum brillanten Wissenschaftler, von Vaterfigur bis hin zur  Sucht nach Anerkennung. Er wird bedroht, er leidet und empfindet Trauer, er ist wütend und hört dennoch nicht auf. Als er erfährt dass er Krebs hat, will er noch mehr dass alles aufgeklärt wird und  kämpft um Gerechtigkeit und Vergebung. Bei all dem fragt man sich dann, warum er so engagiert daran arbeitet Alice zu erklären. Man sucht nach Gründen dafür und im Kopf des Lesers findet ein Kinofilm statt. Die Fragen „was ist Jem’s Geheimnis und war es ein Unfall oder war es Mord“ begleiten durch das Buch hindurch bis zu den letzten Seiten. Diese bis fast zuletzt unbeantworteten Fragen bilden die düstere Grundspannung, die es nur ab und zu zulässt, dass Spannungshöhepunkte aufblitzen.

Diese Geschichte wird durch die vielen Nachrichten, die hier verarbeitet werden, sehr facettenreich und voller unterschiedlicher Perspektiven erzählt, wodurch das Buch für mich eine echte Herausforderung war, dass noch lange nachwirken wird.

Die Figuren und ihre Charaktere sind äußerst feingliedrig und emotional gezeichnet. Jem und Alice als Hauptprotagonisten sowieso, aber auch alle anderen.

Luke ist Alice Ex-Freund. Er schreibt Alice Briefe, als sie bereits tot ist. Darin verarbeitet er seine tiefempfundene Trauer, seine Selbstvorwürfe und seine Verzweiflung. Megan, Alice beste Freundin, betreibt einen Blog und schreibt dort sehr detailliert über sich und Alice. Sie begleitet Jem eine Zeitlang, als er recherchiert. Sie bewundert ihn, doch eines Tages schlägt diese Zuneigung in Hass um. Elisabeth, Alice Mutter, steht in Briefkontakt mit Jem. Diese Figur betreibt ein Wechselspiel zwischen Liebe und Hass, für und gegen Jem. All diese Nachrichten sind hoch emotional und sie berühren.

Ich hatte keine bestimmten Erwartungen an diesen Roman, daher kann ich kaum von enttäuschten Erwartungen schreiben, aber meine Kritik gilt den verschachtelten Briefen, die Jem an Larry schreibt. Es hat mich manches Mal gestört Sätze oder Dialoge erneut lesen zu müssen, um sie einprägsam zu verstehen. Ein wenig mehr Abwechslung zwischen dem Lesen von Briefen und der realen Welt der Figuren hätte ich als angenehm empfunden.

Mein Fazit:

Ein Roman der sich absolut vom Mainstream abhebt. Sehr intelligent, sehr komplex, sehr lesenswert und anspruchsvoll, aber auch anstrengend und somit nichts für zwischendurch, da man die Geschichte sonst nicht voll umfänglich erfassen und genießen kann.