Rezension

Ein Roman, der wohltuend auf Antworten verzichtet

Geschichte einer Ehe - Geir Gulliksen

Geschichte einer Ehe
von Geir Gulliksen

Bewertet mit 5 Sternen

Geir Gulliksen, Geschichte einer Ehe, Luchterhand Verlag 209, ISBN 978-3-630-87605-4

 

Norwegen ist in diesem Jahr 2019 das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Der Luchterhand Verlag hat mit der Veröffentlichung des Romans „Geschichte einer Ehe“ von Geir Gulliksen schon jetzt einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Denn Geir Gulliksen ist in Norwegens Literaturszene kein Unbekannter. Als Verleger und Autor hat er sich dort schon lange einen Namen gemacht. Und so ist es auch kein Zufall, dass das in Norwegen 2015 erschienene Buch in etlichen anderen europäischen Ländern publiziert wurde, bevor es von Ursel Allenstein im Auftrag von Luchterhand ins Deutsche übersetzt wurde.

 

Ein Mann namens Jon erzählt darin die Geschichte seiner Ehe mit Timmy. Sie führen eine gute Ehe, sie sind glücklich miteinander und mit ihren Kindern. Jedenfalls sind sie das eine lange Zeit. Das mag auch damit zusammenhängen, dass der Journalist und Autor etwas ist, was man seit Längerem einen modernen Mann nennt, auch in Norwegen. Er teilt sich mit seiner Frau den Haushalt und kümmert sich um die Kinder, damit seine Frau Timmy Karriere machen kann. Sie arbeitet als Ärztin bei den norwegischen Gesundheitsbehörden Sein Beruf ermöglicht ihm flexible Arbeitszeiten. Und so scheint das, was in sehr vielen Beziehungen ein großes Problem ist und nicht selten zu ihrem Scheitern führt, bei Jon und Timmy geregelt. Und es scheint nicht unwesentlich zu ihrem Glück beigetragen zu haben. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als das Buch beginnt.

 

Denn schon zu Anfang ist klar: Timmy hat nach 20 Jahren Ehe einen anderen Mann kennengelernt und erklärt die Beziehung für gescheitert.

 

Es ist passiert, was sie beide nie für möglich hielten, denn eine außergewöhnlich große Liebe hat die beiden in die Ehe geführt. Zunächst glaubt der Leser dem Erzähler Jon, der verzweifelt zurückblickt und seine Ehe als  "ein langes Gespräch, das 20 Jahre angehalten hat“ bezeichnet.

 

Doch im weiteren Verlauf des Romans stellen sich Jon und erst Recht dem Leser viele Fragen. Geir Gulliksen ist sehr sparsam damit, diesen Fragen auch Antworten oder auch nur Vermutungen folgen zu lassen.

 

Und so ermöglicht der nüchtern-nordische Stil des Buches dem Leser sehr schnell, seine eigenen Erfahrungen und Gedanken in die Lektüre einzubringen. Er wird sehr schnell in einen regelrechten Sog gezogen, und obwohl man sehr schnell sicher ist, dass das alles nicht gut ausgehen wird, sieht man sich besonders als männlicher Leser stark in die Gefühle und den Schmerz verwickelt, die Jon ausführlich beschreibt.

 

Was hat diese Liebe zerstört, was hat wohl über eine längere Zeit ihren ehemaligen  Zauber und ihre Kraft unterhöhlt und gebrochen?

 

Man folgt der Erzählung mit zunehmender Irritation und der immer stärker werdenden Unsicherheit darüber, ob zu viel gegenseitig zugestandener Freiheit und Unabhängigkeit irgendwann sich als immer stärker werdende Versuchung rächt.

 

Am Ende hatte ich fast so etwas wie Verständnis für die Flucht von Timmy vor einer Ehe, die mit einem Mann mit teilweise skurrilen angeblich modernen und liberalen Ansichten für sie wohl irgendwann zum Gefängnis geworden ist, in dem sie nicht mehr richtig atmen konnte.

 

Und da anfängliche Mitgefühl mit dem verlassenen Mann, der seinem Schmerz und seinen Verletzungen nachsinnt, weicht so etwas wie Verachtung für seine unmännliche Schwäch und sein an Selbstverachtung grenzendes Verständnis für alles, was sein Frau tut und will.

 

Ein Roman, der wohltuend auf Antworten  verzichtet.