Rezension

Ein Roman zwischen Tragödie und Thriller

Atemnot - Ilsa J. Bick

Atemnot
von Ilsa J. Bick

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Jenna Lord ist 16. Ihre Mutter führt einen traditionsreichen, aber bankrotten Buchladen und trinkt mehr Alkohol, als ihr und der Familie guttut. Jennas Vater ist Schönheitschirurg und betrügt seine Frau, über die Familie herrscht er mit eiserner Kontrolle. Kein Wunder, dass Jenna psychische Probleme hat.  Sie macht gerade einen Neuanfang an einer neuen Schule. Hier kümmert sich der sympathische Chemielehrer Mr Anderson um sie. Seit langer Zeit fühlt Jenna sich zum ersten Mal wieder umsorgt. Doch auch Mr Anderson hat seine Geheimnisse …

Meine Meinung:
Das Buch beginnt quasi mit dem Ende: Jenna wurde mitten im Winter aus einem See gefischt, wo sie fast ertrunken wäre. Was ist geschehen? Genau dies will der zuständige Kommissar, Bob Pendleton, von ihr wissen. Um Jenna die Aussage zu erleichtern, drückt er ihr ein Diktiergerät in die Hand, auf das sie ihre Geschichte sprechen soll, und lässt sie dann allein. Als Leser erwartet uns also eine mehr oder weniger ins Unreine gesprochene Erzählung aus Jennas Perspektive.

Diese Art der Erzählung finde ich hier sehr passend und absolut gelungen. Zuweilen hat man den Eindruck, dass die Chronologie nicht ganz stimmt, dass vielleicht auch mal Dinge ausgelassen wurden. Aber das ist ja logisch. Aus dem Stehgreif in der richtigen Reihenfolge zu berichten, ist ja nicht einfach. Man vergisst etwas und fügt es später ein. Man möchte der Polizei auch nicht unbedingt alles sagen. Man betont manche Dinge mehr, als ihnen an Bedeutung zukommt, die Aussage ist schließlich subjektiv. Und so hat man beim Lesen nie die Sicherheit, dass sich wirklich alles so abgespielt hat, wie Jenna das erzählt. Man fragt sich immer, ob sie aufgrund ihrer psychischen Probleme etwas falsch verstanden hat oder sich etwas zusammenreimt, was sie sich wünscht.

Ilsa J. Bick spielt sehr gekonnt ein großes Verwirrspiel mit dem Leser. Im Laufe der Geschichte kommen so viele Fragen auf, und kaum meint man, die Antwort zu kennen, muss man sie schon wieder revidieren, weil weitere Erkenntnisse offengelegt werden, die meist auch eine große Überraschung beinhalten. So werden nach und nach viele Puzzleteilchen aufs Tonband gesprochen. Dabei kommen schockierende Dinge zutage, aber auch große Gefühle. Und was wirklich passiert ist, erkennt man erst ganz am Schluss. Der Weg dahin ist äußerst spannend und interessant.

Die Protagonistin Jenna ist mir schnell ans Herz gewachsen. Trotzdem hätte ich sie manchmal schütteln können, wenn sie gerade dabei war, einen großen Fehler zu machen. Doch meist weiß man ja erst hinterher, dass es ein Fehler war. Und nicht nur Jenna macht hier Fehler. Hätte jemand an einer Stelle anders gehandelt, hätte die Geschichte schon eine ganz andere Wendung nehmen können.

Auch Mr Anderson, der Chemielehrer, war mir über weite Strecken sehr sympathisch, ein richtiger Gutmensch, fast zu gut, um wahr zu sein. Doch schon bald bekommt man Zweifel an seinen guten Absichten. Wie schon im Klappentext erwähnt, ist es schwierig zu entscheiden, wer hier das Opfer und wer das Monster ist. Es gibt eben nicht nur Gut und Böse, Schwarz und Weiß.

Die Autorin versteht es, die Spannung von Anfang bis Ende hochzuhalten, indem sie den Leser lange im Unklaren lässt, indem Jenna immer wieder kleine Andeutungen auf etwas Schlimmes macht, die erst später wieder aufgegriffen werden. So liest man sich atemlos durch das Buch und will es gar nicht aus der Hand legen, bis man endlich weiß, was geschehen ist.

Fazit:
Ein spannender, beeindruckender, aber auch verwirrender und zum Nachdenken anregender Roman für Menschen ab ca. 14 Jahren. Für Jüngere könnten manche Szenen zu schockierend sein.

Meine Empfehlung: LESEN!