Rezension

Ein schöner, etwas ungewöhnlicher historischer Roman

Die Reise der Amy Snow - Tracy Rees

Die Reise der Amy Snow
von Tracy Rees

Bewertet mit 4 Sternen

Ich mag historische Romane, aber bei diesem hat mich die Beschreibung zunächst etwas abgeschreckt: Amy Snow wurde als Baby ausgesetzt und von Aurelia, der Tochter der adligen Familie Vennaway gefunden. Die Eltern wollen das Baby sofort ins Waisenhaus geben, wo es ihrer Meinung nach hingehört, aber Aurelia besteht darauf, dass sie bleibt. Die beiden Mädchen werden beste Freundinnen, doch Aurelia stirbt sehr jung. Nach ihrem Tod lässt sie Amy einen Brief zukommen, in dem sie sie auf eine "Schatzsuche" schickt. In diesem Brief steht ein "Code", den nur Amy entschlüsseln kann, um dann den nächsten Brief mit dem nächsten "Code" zu finden - das hat sich für mich nicht nach historischem Roman angehört, eher nach Fantasy oder Spionage-Thriller…

Doch schon nach wenigen Seiten war ich überzeugt, denn ich war bereits tief ins viktorianische England eingetaucht, das die Autorin mit ihrer Sprache und ihren Beschreibungen perfekt vermittelt. Durch die Briefe lernt der Leser Aurelia kennen und auch Amy lernt dadurch eine "neue" Aurelia kennen, von der sie nicht wusste, dass sie existierte. Aurelia hatte ein Geheimnis und zu dessen Lösung will sie Amy mit Hilfe der Briefe führen. Zugegeben, für Leser im 21. Jahrhundert ist es bald offensichtlich, was Aurelias Geheimnis ist, aber da man keine Details weiß, mindert das die Spannung nicht. Abgesehen davon, dass Aurelia Amy zu ihrem Geheimnis führen will, möchte sie mit ihren Briefen auch erreichen, dass Amy endlich anfängt richtig zu leben. Bisher war sie als Aurelias Freundin im Haus ihrer Eltern nur geduldet und hat weder in die Welt der Reichen noch in die der Dienstboten gehört. Dass sie nun als Frau alleine auf Reisen geht, widerspricht auch den Konventionen der Zeit. Mit Aurelias Hilfe findet sie Freunde und Unterstützung und trotzdem überkommen sie oft Zweifel, ob diese Suche es letztendlich wirklich wert ist…

Das ist der Punkt, der zum Sternabzug bei mir geführt hat: das Buch ist mit fast 500 Seiten zu lang; ein Großteil der Seiten ist damit ausgefüllt, dass Amy nicht weiß, was sie machen soll und ob sie überhaupt weitermachen soll. Nach einem fesselnden Anfang verliert das Buch an Tempo und wiederholt sich sehr oft. Zum Teil lösen sich Amys Probleme auch zu schnell von selbst und durch Zufall, das hat mich auch etwas gestört.

Die Beschreibungen sowohl der verschiedenen Charaktere als auch der viktorianischen Zeit wären allerdings fünf Sterne wert. Allein durch ihre Briefe hat man das Gefühl Aurelia zu kennen, Amys neue Freunde in Twickenham sind einfach nur entzückend und an der exzentrischen Mrs Riverthorpe kommt niemand vorbei. Die Autorin hat sehr gut und viel recherchiert und versetzt den Leser in eine anderen Zeit und Welt.

Trotz der Länge ein wirklich schönes Buch und obwohl es um die üblichen Themen geht – beste Freundinnen, Liebe, arme Frau in der Welt der Reichen - ein ungewöhnlicher historischer Roman.