Rezension

Ein sehr beeindruckendes und polarisierendes Buch

Niemals ohne sie - Jocelyne Saucier

Niemals ohne sie
von Jocelyne Saucier

Bewertet mit 4 Sternen

In "Niemals ohne sie" zeigt Jocelyne Saucier das Leben einer Großfamilie in Kanada. Der Roman erscheint am 11.3.2019 im Insel Verlag. Die Cardinals ist keine gewöhnliche Familie. Sie sind genau 23 Personen und wohnen in der Bergbaustadt Norcoville in Quebec, dort entdeckt der Vater in einer stillgelegten Mine Zinkvorkommen. Das Ende ihrer Armut scheint nahe, jeder rechnet mit einem Anteil am Gewinn. Doch es kommt leider nicht zum finanziellen Erfolg für die Familie. Deshalb planen sie einen gewaltigen Befreiungsschlag, der jedoch zu einer Belastung für die ganze Familie wird.

 

"Wir hätten den Teufelskreis aus Schikanen, Demütigungen und Verrat, an den wir uns mittlerweile gewöhnt hatten, weiter ertragen können, und eines Tages hätten wir Norco verlassen, unversehrt, mit unseren Hofnungen im Gepäck, und hätten bekommen, was wir vom Leben forderten." Zitat Seite 108/109

 

Die Familie Cardinal ist groß und beeindruckt allein schon von ihrer Anzahl her, bei ihnen steht die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Dieser Roman zeigt aus der Sicht einzelner Geschwister eine Großfamilie, deren Kinder vom Freiheitsdrang erfüllt sind und wie ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aussieht.

Die Charaktere werden mit Tauf- und Spitznamen vorgestellt, das macht es bei einer Kinderzahl von 21 ziemlich unüberschaubar. Doch man lernt die wesentlichen Figuren wie Geronimo, Matz, Angèle, Tommy und Magnum durch ihr Handeln ausführlich und genau kennen.
 
Die Autorin zeigt ihre Wünsche, ihre Lebensbedingungen, wie sie sich trotz der Armut in ihrer Familien wohlfühlen. Jedes Kind unterliegt untereinander einer Hierarchie, nicht jeder findet ein Bett und sucht sich irgendwo im Haus einen Schlafplatz. Die Mutter ist ständig in der Küche bei ihren Töpfen zu finden, ob alle am Tisch sitzen, zählt sie bei jeder Mahlzeit. Und der Vater hegt und pflegt seine Dynamitstangen und sucht in den Minen den Claim seines Lebens. Doch der gewünschte Erfolg bleibt aus. Als die Mine stillgelegt wird, zersteuen sich die Cardinals in alle Welt und erst dreißig Jahre später, zur Ehrung ihres Vaters auf einer Bergbaukonferenz, kommen sie wieder in Norco zusammen. Der Zeitpunkt für die Wahrheit ist gekommen.

Diese Geschichte wird sehr ruhig erzählt, doch die prägnanten Sätze drücken Stimmungen und Erlebnisse aus und verleihen jede Menge Atmosphäre und sorgen damit für Fesselung an diese ungewöhnliche Familie. Die Cardinals sind wild und fast schon unberechenbar, denn ihr Hobby führt in den Berg, Sprengungen und die donnernden Explosion in ihrer Mine erfüllen sie mit Stolz.
 

Einzig Angèle ist anders, sie entdeckt bei einer Pflegefamile, den McDougalls die große weite Welt.  Welches Schicksal sie ereilt, wird im Roman zum inhaltgebenden Thema. Das ist das Ereignis, das die Familie auseinander reißt, ein unaussprechliches Unglück, das als Lüge über der Familie liegt wie ein gewaltiger Felsbrocken.  

Schon früh lässt die Autorin das schlimme Schicksal durchblicken, das macht neugierig und man verfolgt das Buch gespannt, bis am Ende alles genau aufgeklärt wird.
Mich hat bei dieser Geschichte beeindruckt, wie diese Familie erst von ihrem dunklen Geheimnis auseinander gerissen wurde und einzelne Personen damit umgingen.

Der Schreibstil von Jocelyne Saucier ist teilweise poetisch, aber immer bildhaft und atmosphärisch dicht. Die Naturbeschreibungen führen hier unter die Erde und zeigen die wilde Schönheit von Goldquarzfunden im Berg und die Besonderheit von Sprengungen. Das ist Ehrfurcht gebietend und anschaulich, aber auch etwas bedrückend. Denn trotz der ganzen Plackerei bleibt der Familie nicht viel zum Leben.
 

Dieses Buch fesselt, es polarisiert und lässt einen nicht los. Ein sehr beeindruckendes und atmosphärischer Roman, der zeigt, wie diese ungewöhnliche Familie mit ihrem persönlichen Familien-Unglück umgeht.