Rezension

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ein sehr bewegendes Buch

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

Dieses Buch hat mich einfach nur von den Socken gehauen. Anna Seidel ist nämlich “erst” 18 Jahre alt (hat das Buch mit 16 geschrieben!!!) und ich wundere mich sehr über das unfassbare Thema, dem sie sich in ihrem Debüt angenommen hat und wie sie mich bis auf die letzte Seite fesseln konnte.

In “Es wird keine Helden geben” berichtet uns die 15jährige Miriam von einem Schultag, an dem sie fast verschlafen hätte, wenn nicht die Guten-Morgen-SMS ihres Freundes gewesen wäre. Ein Tag, der sich wie jeder andere in der Unendlichkeit vieler Schultage eingereiht hätte. Doch an diesem Tag wird alles anders sein. Und es wird keine Helden geben.

“Ja, wir lassen Philipp einfach zurück. Und ja, die Folgen sind mir bewusst. Ich weiß, dass das seinen Tod bedeuten könnte. So herzlos es auch scheinen mag – würde ich
bleiben, würde ich mein Todesurteil unterschreiben. Hier denkt jeder zuerst an sich. Es gibt keine Helden. Die sind eine Erfindung der Filmindustrie.”

Das Thema des Buches, ihr habt es vielleicht schon erraten, ist der Amoklauf. Der Junge Matias, von vielen gehänselt, weil er ziemlich ungepflegt erscheint, rächt sich an Schülern und Lehrern und richtet ein grausames Blutbad an. Hierbei fand ich ziemlich gut, dass das Mobbing in Erinnerungsfetzen Miriams beleuchtet wurde und dem Leser als Grund präsentiert wurde. Keine Fachsimpeleien über Killerspiele und was wir alles verbieten sollten. Aber diese Art von Kritik braucht das Buch auch gar nicht, es übt auch ohne Killerspiele und Medienrummel eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik.

Im Fokus stehen allerdings nicht die Gründe oder irgendwelche kritischen Fragen. Viel beeindruckender, und mit beeindruckend meine ich eine stetige Gänsehaut und fast schon ein Atem-Anhalten, fand ich, wie Anna Seidel mich an Miriams Leben hat teilhaben lassen. Miriam muss zusehen, wie ihr Freund erschossen wird, sie versinkt in einer Art Depression, muss sich durch die Trauerarbeit kämpfen und dann nimmt sich auch noch ihre beste Freundin das Leben. Ich konnte fast am eigenen Körper die inneren Schmerzen und Hilflosigkeit nachvollziehen. Es tat mir in der Seele weh, was das Mädchen nach dem Ereignis durchmachen musste und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sowas Zeit braucht und dass so bald nicht alles wieder okay sein würde. Anna Seidl gelingt es dabei zu verdeutlichen, was für eine unfassbare Situation, welche Tragödie sich in diesem Moment abspielt und dass sich die Gründe nicht immer plakativ festmachen lassen. Es gibt kein schwarz und weiß. Zu Beginn gibt Miriam Matias die ganze Schuld, bezeichnet ihn als Monster. Doch nach und nach fällt ihr auf, dass sie und ihre Freunde vielleicht nicht ganz unschuldig an seinem Verhalten gewesen sind.

“Wir haben Matias Staudt aus ganz verschiedenen Gründen gemobbt. Die einen, weil sie sich dadurch selber nicht so klein fühlten. Andere, weil sie Angst hatten, selbst
gedisst zu werden, wenn sie nicht mitmachten. Und wieder andere haben mitgemacht, weil sie es genossen, Macht über Schwächere zu haben. Und ich habe einfach nicht
darüber nachgedacht.”

Doch wie soll ein 15jähriges Mädchen damit umgehen? Aus Miriams Perspektive erfährt man sehr eindrucksvoll, was für einen Schaden so ein Amoklauf anrichten kann. Für Jugendliche, Freunde, Familien und die Schule selbst. Ich muss gestehen, dass mich der Stil und die Erzählung teilweise sehr tief berührt haben und ich viel mit Miriam gelitten habe. Ein wirklich sehr schlaues und erwachsenes Buch. Ich bin gespannt, was uns die junge Schriftstellerin noch präsentieren wird!