Rezension

ein Skandal

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen - Maria Braig

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen
von Maria Braig

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich finde unsere Abschiebepolitik sehr schlimm (vor allem diese Nacht und Nebel Aktionen, die Menschen betreffen, die schon lange hier geduldet und integriert sind), aber auch, dass die Politik den Familiennachzug erschwert und dann noch diese absurden Behauptungen, manche Länder seien sicher...

Seit vielen Jahren begegne ich immer wieder Menschen, die lieber sterben wollen, als in Länder zurückkehren zu müssen, wo sie vor dem Sterben noch gefoltert werden und die wegen Suizidversuchen zu uns in die Klinik kommen. Daher interessiert mich das Thema sehr, zumal es jetzt ja viel mehr Menschen betrifft und man in den Medien immer wieder von diesen ungerechten Abschiebepraktiken hört. Es ist unfassbar, welche unmenschlichen Entscheidungen da oft getroffen werden. Insofern wollte ich gerne wissen, wie die andere Seite aussieht und was in den Menschen vorgeht, die solche Entscheidungen treffen. Wie schaffen sie es , Nachts zu schlafen, wenn sie Familien auseinander gerissen haben ? Haben sie kein Herz ? Oder sind unsere Politiker und Gesetze schuld ?

Ich habe durch ehrenamtliche Hilfe hier und in den Flüchtlingslagern auf Lesbos viele der Flüchtlinge kennengelernt, ihre Verzweiflung und Not, aber auch ihre Demut, Dankbarkeit unnd Bescheidenheit. Die tiefe Erleichterung und Erlösung, wenn sie es bis nach Lesbos geschafft haben, werde ich nie vergessen. Und die Vorstellung, wie sie wieder zurück in die Hölle geschickt werden, macht mich krank.

Ich bin also mit großer Neugier an dies Buch heran gegangen und wurde nicht enttäuscht. Ich fand allein schon den Anfang sehr stark. Erst diese Zitate, die schon sehr erschrecken und nachdenklich machen, wie die Politik mit Menschen umgegangen ist und es jetzt wieder tut, und dann der Alptraum der Asylentscheiderin, die ja eigentlich Postbeamtin ist. So sollte es eigentlich allen Entscheidungsträgern gehen, vor allem auf politischer Ebene, damit nicht so eiskalt über Menschenleben entschieden wird. Viele Fragen der Hauptperson stelle ich mir auch. Mit welchem Recht entscheiden Menschen, die die Situation der anderen nicht wirklich kennen, über das Schicksal und das Leben der anderen ? Wie kann ich wissen, ob ein Land wirklich für alle sicher ist, wenn ich selbst nicht den Altag erlebt habe? In dem Buch wird sehr anschaulich geschildert, wie man in so einen Job reinrutschen kann. Allerdings ist die Figur etwas blauäugig und glaubt brav, was ihr eingeredet wird, nämlich, dass nicht genug Ressourcen für alle da seien und man daher "Wirtschaftsflüchtlinge" abschieben müsse. Sie geht da in meinen Augen von einer falschen Prämisse aus und ich hätte es spannender gefunden (und aufschlußreicher), wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätte, glauben zu können, etwas Gutes zu tun. Wie ist das also mit den anderen Asylentscheidern ? Dachten diese auch zu Anfang etwas Gutes zu bewirken und sind dann lediglich abgestumpft ?

Besonders erschreckend und erschütternd fand ich den Lehrgang, den die Postbeamten im Eilverfahren absolvieren und die Dogmen, die sie dort eingetrichtert bekommen. Das ist wirklich harter Stoff und ich bin entsetzt darüber, aber anders kann man wohl auch nicht verstehen, was Menschen dazu bewegt, andere in die Hölle zurückzuschicken. Diese Sätze "Spüren Sie die Lüge auf!" und "wer einmal lügt, lügt immer" sind eine unglaubliche Unterstellung und Gemeinheit allen anständigen Flüchtlingen gegenüber und legen den Grundstein für Mißtrauen und Ablehnung. Ich selbst hatte einen Patienten mit völlig vernarbten und verkrüppelten Füßen, was eindeutig auf mehrmaliges Foltern zurückzu führen war und er berichtete, wenn er abgeschoben würde, würde er direkt vom Flughafen wieder ins Gefängnis kommen  und dort hingerichtet werden. Ich fand schon schlimm, was er bereits durchgemacht hatte, dann zeigte er mir seinen Abschiebebescheid. Als Begründung stand da, er hätte sich die Wunden auch selbst zufügen können, um Asyl unrechtmäßig zu erschleichen. Ich war fassungslos über diese Unterstellung und Wortwahl. Und selbst wenn, wie groß muß die Verzweiflung und das Leid sein, um sich soetwas anzutun ?   Er wird nie wieder laufen können und es hätte gar nicht selbst zugefügt sein können. Auch wurde kein Arzt zur Beurteilung hinzugezogen. Wenn die Behördenangestellten aber so gedrillt werden...Nein, eigentlich kann ich diese eiskalte Unmenschlichkeit auch dann nicht verstehen. Und dann diese Aufforderung, sich hinter den Gesetzen zu verstecken, wenn das Gewissen oder Mitgefühl in die Quere kommt. Da kriege ich eine Gänsehaut, denn sowas hatten wir schonmal. Eigentlich sollten die Gesetze für die Menschen gemacht werden und nicht gegen sie, aber ich schweife ab.

In dem Buch wird die menschlichre Not und Verzweiflung gut dargestellt, manchmal auch sehr drastisch, indem z.B. so nebenbei jemand erwähnt wird, der aus dem Fenster gesprungen ist, weil er keinen Ausweg mehr sah. Die Figur der Cochise stellt ein bißchen den Gegenpol oder das Gewissen dar und so langsam beginnt die Asylentscheiderin ihr Tun in Frage zu stellen. Die Wende in ihrem Denken und Handeln kommt durch einen Traum, den sie sehr realistisch erlebt. An ihrem Denken, dass Menschen, die mitansehen müssen, wie ihre Kinder verhungern, weil kein Geld für Essen da ist, die sterben, weil sie sich keine medizinische Versorgung leisten können, die niemals eine Arbeit im Heimatland finden werden, weil sie einer bestimmten Minderheit angehören, nur "Wirtschaftsflüchtlinge" sind und dass wir überfordert seien diesen Menschen zu helfen, hat sich nichts geändert. Aber sie hat sozusagen die menschliche Seite der Not gesehen, die Verzweiflung, die Menschen dazu bringt, sich auf den gefährlichen Weg in eine unsichere Zukunft zu machen. Nun bekommt sie diesen Spagat zwischen Gestzesauflagen und Gewissen nicht mehr hin und dekompensiert.

Was mich etwas gestört hat, ist, dass es in diesem Buch schon wieder eine lesbische Beziehung gibt. Ich finde, das nervt etwas, weil es den Eindruck macht, als würde die Autorin sich diesbezüglich auf einem Kreuzzug befinden. Das hat irgendwie nichts mit dem Thema zu tun. Wenn die Asylentscheiderin sich wenigstens Gedanken darüber machen würde, wie offen, frei und ohne Angst sie das Verlieben in eine Frau ausleben kann, ohne im Gegensatz zu den von ihr abgelehnten Afrikanern um Leib und Leben fürchten zu müssen, dann fände ich die Erwähnung dieser Beziehung sinnvoll. So finde ich das etwas überflüssig. Eigentlich stört mich das nicht, aber wenn es in 4 Büchern 3x vorkommt (im 4. Buch kommen Flüchtlinge selbst zu Wort), dann denk ich schon irgendwann ; "Nicht schon wieder ! Was hat das mit dem Thema zu tun ?" Aber sei´s drum. Es tut der Geschichte ja auch keinen Abbruch.

Erschütternd wieder am Schluß die einzelnen Schicksale und die haarsträubenden Begründungen für die Ablehnungen. Ich hatte immer gedacht, wir schützen Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden und denen bei Rückkehr Folter und Tod droht, aber dem ist nicht so. Die Infos zu einzelnen Begriffen z.B. was ist subsidärer Schutz oder was besagt diese schwachsinnige Dublin Verordnung finde ich sehr hilfreich.

Insgesamt ein starkes, wichtiges und lesenswertes Buch und ich finde es klasse, dass sich die Autorin unermütlich bemüht, dieses Thema immer wieder von allen Seiten zu beleuchten. Wie wir mit diesen Menschen, die so dringend unsere Hilfe benötigen, umgehen, und wie blind wir für ihr Leid sind, aus Sorge, wir müßten kürzer treten, wenn wir ihnen helfen, ist ein solcher Skandal, dass die Bücher von Maria Braig an den Schulen gelesen werden sollten, um wieder so etwas, wie ein soziales Gewissen und Mitmenschlichkeit zu wecken.