Rezension

Ein Sorgenkind

Der Rest ist Schweigen - Carla Guelfenbein

Der Rest ist Schweigen
von Carla Guelfenbein

Bewertet mit 4 Sternen

Tommy war schon immer ein Sorgenkind. Wegen seiner schweren Herzkrankheit ist er deutlich kleiner als seine Altersgenossen und wurde bisher übermäßig behütet. Der Zwölfjährige hat seine Krankheit überstanden, wird jedoch nie ein normales Leben führen können. Rein äußerlich zeigt sich das daran, dass es in der Alters-Hierarchie seiner Cousins und seiner Mitschüler keinen Platz für ein besonderes Kind gibt. Vermutlich aus falscher Rücksicht sind Tommy die wichtigsten Dinge verschwiegen worden: dass er Jude ist und wie seine Mutter ums Leben kam. Als er durch ein belauschtes Gespräch der Erwachsenen mit der Realität konfrontiert wird, setzt Tommy nichtsahnend eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang. Vater Juan, ein prominenter chilenischer Herzchirurg, hat die Sorge um Tommy an seine zweite Frau Alma und das Kindermädchen delegiert und erfährt erst viel zu spät von den Vorgängen in seinem Haushalt.

Tommy, sein Vater Juan und Alma erzählen in der Ichform jeder aus seiner Perspektive und zum großen Teil im Präsens. Durch die Erzählform wirkt die Sprache sehr schlicht, bildet jedoch die Beziehungen in dieser ungewöhlichen Familie beeindruckend atmosphärisch ab. Tommys rechnerisches Alter kontrastiert in krasser Weise mit seiner kindlichen Sprache und seinem magischen Denken eines viel jüngeren Kindes, mit dem er seine Angst vor dem Verlassenwerden zu beherrschen sucht. Alma und Juan klammern sich wie Schiffbrüchige an eine Vernunftbeziehung, die die Versorgung von Tommy und Almas Tochter aus einer vorhergehenden Beziehung sichern soll.

Guelfenbeins Roman wirkt auf mich besonders eindringlich durch die drei sehr unterschiedlichen Erzählerpersönlichkeiten und den Kontrast zwischen bedrückenden Ereignissen und der vordergründig einfach wirkenden Sprache, in der sie erzählt werden.