Rezension

Ein spannender Roman mit wahren Hintergrunden

Seitenwechsel - Michael Römling

Seitenwechsel
von Michael Römling

Ein nächtlicher Ausflug ist der Beginn eines lebensgefährlichen Abenteuers …

Bernhard und Georg sind zwei ganz normale Teenager, die Anfang der sechziger Jahre im geteilten Berlin leben. Bernhard lebt im Ostsektor und Georg im Westsektor. Als sie eines Nachts wieder einmal heimlich durch die brandenburgischen Wälder streifen, ahnen sie noch nicht, dass Bernhard nach diesem Ausflug die schwersten Wochen seines Lebens bevorstehen. Ursprünglich wollten beide nur eine Fotofalle installieren, um zu beweisen, dass nach 150 Jahren tatsächlich wieder Luchse in der Region leben, doch während sie die Nacht in gespannter Vorfreude auf einem nahegelegenen Hochsitz im Wald verbringen, wird die Ruhe brutal gestört. Die beiden beobachten, wie sowjetische Soldaten direkt am Waldrand geheimnisvolle Gegenstände von einem Güterzug laden. Beide wagen keinen Atemzug und dann geschieht das Unfassbare – direkt vor den Augen der Sowjets geht die Fotofalle los. Doch es kommt noch schlimmer: Als beide so schnell wie möglich zu Bernhards Vater fliehen, finden sie diesen erhängt in seinem Haus. Die Behörden sprechen von Selbstmord, doch Bernhard erkennt schnell die falschen Fährten, die der oder die Täter im Haus gelegt haben …

Auch Bernhards Bruder Julius sowie dessen bester Freund Jack, ein in Berlin stationierter Soldat der Army, spielen in diesem Roman eine besondere Rolle. Sie hängen nachts in Bars herum und verdienen gutes Geld durch den Verkauf von Schallplatten auf dem Schwarzmarkt. Wer bei Jack militärische Strenge vermutet, der irrt. Er lebt vielmehr für die Musik und das lockere Leben statt für seine militärischen Pflichten. Dies beweist er wieder einmal, als er gemeinsam mit Julius in einer Bar zwei Mädchen aufreißt, die ihm an diesem Abend noch fast zum Verhängnis werden. Warum er trotzdem so oft von seinem Vorgesetzten ins Vertrauen gezogen wird, ist ihm ein Rätsel. Doch schon bald ist Jacks Wissen für Julius und Bernhard unbezahlbar …

Ein Roman mit wahren Hintergründen

Michael Römling ist ein wahrer Meister darin, historische Ereignisse mit einer Prise Fiktion zu einer spannenden Geschichte zu verweben. In seinem Roman werden die Freunde zum Spielball politischer Interessen, die zur damaligen Zeit auf deutschem Raum nirgends so konzentriert aufeinanderprallten wie im geteilten Berlin. Möglicherweise halten insbesondere jüngere Leser die Handlung für unrealistisch oder übertrieben, doch wie Michael Römling es auch selbst in seinem Nachwort schreibt, könnte sie so oder so ähnlich durchaus stattgefunden haben. Der Bau der Mauer, die von der DDR-Regierung als „Antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnete wurde, riss unzählige Familien auseinander und machte die Bewohner der DDR zu gefangenen im eigenen Staat. Kein Wunder also, dass viele versuchten, dieser Situation zu entfliehen und dabei sogar den eigenen Tod riskierten.

Ebenso fesselnd wie die Handlung sind die Charaktere des Romans. Jede Figur zeichnet sich durch bestimmte charakterliche Eigenschaften aus. Dabei blieb mir nach dem Lesen insbesondere Jack im Gedächtnis. Die Leser lernen Jack zu Beginn des Romans als leichtsinnigen Schürzenjäger kennen, der sich scheinbar um nichts und niemanden schert – erst recht nicht um bestehende Regeln und Vorschriften. Doch genau dieser Hang zur Rebellion zeichnet ihn aus. In dem Moment, in dem dessen Freunde seine Hilfe am meisten brauchen ist, Jack ungeachtet der Vorschriften für sie da. Er riskiert ohne zu zögern sein Leben und den ohnehin schon brüchigen Frieden im geteilten Deutschland. Obwohl ich seinen Charakter auf den ersten Seiten überhaupt nicht mochte, konnte er mich mehr und mehr einnehmen, und im Nachhinein ist er für mich zweifelsfrei der spannendste Charakter der Geschichte.

Fazit

Dieser Roman liest sich aufgrund seiner dichten und atmosphärischen Erzählweise wie eine Zeitreise durch die deutsche Geschichte. Und auch bei diesem Roman staune ich wieder über den Wissensschatz, den Michael Römling ganz nebenbei durch seine Romane vermittelt. Die gekonnte Verknüpfung historischer Ereignisse mit fiktiven Charakteren macht auch hier wieder einen besonderen Spannungsmoment aus. Wer Michael Römlings Art zu Schreiben kennt, liest seine Romane immer mit der Frage nach Fiktion und Realität – und noch bevor die Lösung dann gefunden ist, ist der kurzweilige Roman auch schon wieder vorüber.