Rezension

Ein Star-Ermittler, der akribisch vom Nebensächlichen zum zentralen Motiv kommt

Newcomer - Keigo Higashino

Newcomer
von Keigo Higashino

Bewertet mit 5 Sternen

Mitten im heißen Sommer erkundigt sich ein für Japan eher lässig gekleideter Mann in einem kleinen traditionellen Geschäft nach einem Versicherungsangestellten, der in Verbindung zu einem Mord stehen könnte. Der Weg des Ermittlers könnte eine Reise zu traditionellem japanischen Handwerk sein, denn in der Gasse in Nihonbashi werden Porzellan, Küchengeräte, Spielzeug und traditionelle gefüllte Kuchen verkauft. Kleine Restaurants versorgen die Angestellten der umliegenden Firmen. Der Mann geht bei seiner Befragung rücksichtsvoll und doch entschieden vor. Ihm geht der Ruf voraus, ein knallharter, erfolgreicher Ermittler zu sein. Kyochiro Kaga macht seinen Gesprächspartnern deutlich, dass er sich die winzigsten Details merken und sie miteinander verknüpfen kann. Allein Kagas Auftreten könnte einen Verdächtigen bereits so in die Enge treiben, dass derjenige sich unfreiwillig verraten wird. Dass die Versetzung eines Star-Ermittlers zurück auf die Straße wie ein Abstieg wirkt, könnte die Beteiligten verwundern.

Wer war Mineko Mitsui, die erst kürzlich neu ins Viertel gezogen war und mit welchem Motiv wurde sie ermordet? Warum befasst sich Kommissar Kaga so intensiv damit, wer gern welche Kuchensorten isst und was die Geschäftsleute in der Gasse miteinander und mit dem Mordfall verbinden könnte? Elf Familien und ihre Berufe scheinen wie Blütenblätter um den Mordfall herum angeordnet zu sein, die Kagas Ermittlungen mit ihren persönlichen Konflikten und Heimlichkeiten eher komplizieren. Das Beschönigen und Verschweigen ist in diesem Kriminalroman zentrales Thema. Kaga agiert mitfühlend und lässt seine Zeugen ihr Gesicht und ihre kleinen Lügen gegenüber der Familie wahren. Kagas Kollege Hiroshi Uesugi dagegen ist von dessen Detailversessenheit genervt, mit der Kaga die Mordermittlung unnötig in die Länge zu ziehen scheint. Mit seiner bevorstehenden Pensionierung vor Augen will Uesugi den Fall endlich abschließen. Doch als nahezu alle Fäden miteinander verknüpft sind, bleibt einer lose übrig, für den Kaga gezielt den lebenserfahrenen Uesugi gewählt hat. Erst dann kann er beweisen, wessen Kreise Mineko Mitsui störte und deshalb sterben musste. Am Ende klärt sich auch, was Kaga mit seiner T-Shirt-Oberhemd-Kombi bezweckt hat …

Higashino konstruiert aus zahlreichen Personen, Symbolen und Geheimnissen einen wahrhaft kunstvollen Plot, der ohne Personenverzeichnis nur schwer nachvollziehbar wäre. Abgesehen von der unvergesslichen idyllischen kleinen Gasse, die es in der Form vermutlich nicht mehr lange geben wird, lässt der japanische Autor seine westlichen Leser in ein charakteristisches asiatisches Verhalten blicken: Das Denken und Handeln vom Nebensächlichen zum Zentralen, von außen nach innen, von der Gruppe zur Einzelperson. Diese Denk- oder Bewegungsrichtung ist im Verständnis Asiens ein zentraler Punkt.