Rezension

Ein toller, absolut lesenswerter Roman über das Erwachsenwerden und nicht nur

Vom Ende der Einsamkeit
von Benedict Wells

Bewertet mit 5 Sternen

Wunderbares Lesevergnügen: poetisch, philosophisch, weise. Figuren, Handlung, Idee, Fülle an Themen – sehr gelungen.

Drei Geschwister werden zu Waisen, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen. Jules ist der jüngste, er ist elf. Er, wie seine um paar Jahre ältere Schwester Liz und Bruder Marti, wachsen in einem Heim auf, wo sie voneinander getrennt untergebracht wurden. Die Drei hätten unterschiedlicher nicht sein können. Liz ist ein attraktives blondes Mädchen, sehr abenteuerlustig und für jede neue Erfahrung offen, ob es um Drogen oder Sex geht. Marti ist ein schlaksiger, in schwarz gekleideter Computernerd. Und Jules ist ein introvertierter,  einfühlsamer Junge, der heimlich Geschichten schreibt und ein Fotograf werden soll, wie sein Vater es wollte. Jules beobachtet die Menschen um sich und sich selbst sehr genau und erzählt uns diese Geschichte. Schon allein, WIE er es tut, ist Lesegenuss pur: melancholisch, poetisch, philosophisch mal humorig-ironisch und weise.

Es folgen die Jahre des Erwachsenwerdens, die Jules, wie auch seinen Geschwistern, ohne Eltern recht schwer fallen. Jeder entwickelt seine Art, mit dem Verlust umzugehen. Jules hat Identitätsprobleme, will jemand anders sein, vor allem jemand, für den seine Eltern da waren. „Eine Schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind, dachte ich. Man weiß nie, wann er zuschlagen wird“, sagt Jules über Marti auf S. 136, mit dem ihn u.a. eine Art Wettkampf unter Brüdern verbindet – sehr gut herausgekommen im Laufe des Romans, aber auch für Jules selbst und seine Schwester Liz stimmt es.

Jules lernt im Internat Alva kennen, ein hübsches rothaariges Mädchen, das sich in einem Unterricht einfach zu ihm setzt. Ab da ist sie ein fester Bestandteil seines Gefühlslebens. Sie verbringen hin und wieder Zeit mit einander. Alva liest gerne, wie Jules auch. Als die beiden junge Erwachsene sind, sagt er nach einem ihm wenig liebsamen Vorfall:„Ich hatte etwas in ihr gesehen, was sie war und nicht sein wollte. Aber vor allem hatte ich mich selbst in ihren Augen wahrgenommen, das, was aus mir geworden war, und das, was eben nicht. Und was auch immer all diese Jahre zwischen uns gewesen war, ein einziger Blick hatte gereicht, um es wieder kaputtzumachen.“ S. 103.

Sie treffen sich Jahre später, mit etwas über dreißig. Jules dachte in der Zwischenzeit immer wieder an sie und urteilte über sich: „Nie den Mut gehabt, sie zu gewinnen, immer nur die Angst, sie zu verlieren.“ S. 121. Alva ist mit einem knapp siebzigjährigen Schriftsteller verheiratet, der seine besten Zeiten in jeder Hinsicht hinter sich hat. Und ab da wird es erst recht spannend, denn da kommen die überraschenden Wendungen und noch vieles mehr.

Jules philosophiert über Gott und die Welt, aber wie gekonnt! Und auf so eine Art und Weise, die man einfach kennenlernen muss. „Ich meine, wenn man sein ganzes Leben in die falsche Richtung läuft, kann’s trotzdem das Richtige sein?“ S. 190. Auch die ewigen Themen wie Liebe und Tod, Freundschaft, Familie, Partnerschaft, Kinderkriegen, Elternsein, Vater-Sohn Beziehung, den richtigen Platz im Leben finden, Umgang mit eigener Kreativität, persönliche Freiheit, auch ganz aktuelle Themen wie Umgang mit Krankheiten wie Alzheimer und Krebs, und natürlich die Einsamkeit, sind wunderbar in den Erzählteppich hineingewoben worden. Diesen Gedanken nachzugehen- es gibt einen Haufen toller, philosophisch anmutender Sätze, und mit Jules und seinen Geschwistern diese Geschichte mitzuerleben, hat mir viel Lesevergnügen bereitet. Bemerkenswert finde ich, was Jules über Talent sagt, wie er es definiert. S. 180.

Man ist auch dem Wechselbad der Emotionen ausgesetzt, da man mit den Figuren mitfiebert. Dem Autor gelingt es, einen im Handumdrehen von Verzweiflung in Euphorie zu versetzen und später wieder langsam zurück. Bewegt bleibt man bis zum Schluss.

Es gibt auch einfach schöne Bilder: des unbeschwerten Familienlebens mit Kindern, des gemeinsamen Reisens, der glücklichen Liebe, des vertrauten Miteinanders, etc.

Die Geschichte endet, als die Geschwister etwas über vierzig sind. Sie haben sich mittlerweile weiterentwickelt und verändert, denn der Roman ist auch u.a. eine Reise zu sich selbst. Und Jules sagt: „Was, wenn es Zeit nicht gibt? Wenn alles, was man erlebt, ewig ist und wenn nicht die Zeit an einem vorübergeht, sondern nur man selbst an dem Erlebten?“ S. 327.

Insgesamt verbreitet der Roman eine optimistische, lebensbejahende Stimmung: er verleitet einen dazu, an die ewige Liebe zu glauben, die alle Herausforderungen des Lebens übersteht und am Ende siegt, auch über den Tod hinaus.

Bei Benedict Wells verbinden sich das Talent und das Können auf eine gewinnende, wunderbare Weise. Ich hoffe, er wird die Leser noch oft genug mit vielen Aneuen Werken erfreuen.

„Vom Ende der Einsamkeit“ habe ich sehr gern gelesen. Dies habe ich extra langsam getan, um ja keine gedankliche wie sprachliche Köstlichkeit  zu verpassen. Ein Highlight des Jahres ist es schon jetzt geworden. Sehr gerne vergebe die 5 besonders hell leuchtende Sterne und eine klare Leseempfehlung. Unbedingt lesen.