Rezension

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Ein toller Klassiker

Frühstück bei Tiffany - Truman Capote

Frühstück bei Tiffany
von Truman Capote

Willkommen in New York in den 50er Jahren: Lernt dort einen jungen, aufstrebenden und für uns namenlosen Schriftsteller kennen, der eine wundervolle Geschichte zu erzählen hat. Nennen wir ihn der Einfachheit halber doch einfach “Fred”, so wie Holly das eine ganze Zeit lang tat, und lauschen seiner Geschichte über die Begegnung mit dieser einzigartigen jungen Frau.

Joe Bell, der Barkeeper, rief ihn eines Tages an und bat ihn, in die Bar zu kommen. Ein Foto war aufgetaucht, auf dem der Kopf einer afrikanischen Skulptur zu sehen war, der der jungen Frau zum verwechseln ähnlich sah. Joe, inzwischen 67 Jahre alt, gibt zu, dass er Holly geliebt habe, aber nicht so, dass er sie anrühren wollte. Und genauso hat sie auch der Schriftsteller geliebt! Vorhang auf für Holly Golightly.

Sie ist im Jahre 1943 die Nachbarin unseres Schriftstellers in einem Mietshaus in Manhattan gewesen und sorgte regelmäßig für Aufsehen, da sie ihren Schlüssel nie bei sich trug und somit zu unmöglichsten Nachtzeiten ihre Nachbarn weckte. Genauso wurde “Fred” auch auf sie aufmerksam und eine Freundschaft zwischen beiden begann sich spätestens da zu entwickeln, als die junge Holly nachts auf der Feuertreppe vor seinem Fenster steht, weil sie vor einem Betrunkenen auf der Flucht war, den sie mit in ihr Appartement gelassen hatte und der jetzt doch etwas zu zudringlich werden wollte. Doch wer ist Holly Golightly?

“Bei all ihrer schicken Magerkeit strahlte sie eine Haferflocken-Gesundheit aus, eine Seifen- und Zitronen-Reinlichkeit, und auf ihren Wangen lag eine raue Röte. Sie hatte einen großen Mund und eine Stupsnase. Eine Sonnenbrille verbarg ihre Augen. Es war ein Gesicht, das nicht mehr ganz in der Kindheit zu Hause war und schon einer Frau gehörte. Ich schätzte sie auf irgendetwas zwischen sechzehn und dreißig; wie sich herausstellte, stand sie zarte zwei Monate vor ihrem neunzehnten Geburtstag.” (S. 15)

Und so kam unser Schriftsteller auch zum Namen “Fred”. Sie fühlte sich bei ihm so aufgehoben, wie sie das nur bei ihrem Bruder Fred, der an der Front kämpft, bisher konnte und sie ist auch nirgends zuhause. Selbst mit dem Kater, der in ihrer Wohnung lebt, hat sie nur eine offene Vereinbarung. Überfällt sie dazu noch das “fiese rote Elend”, hilft jedoch nichts außer ein Besuch des berühmtesten Juweliergeschäfts überhaupt: Tiffany & Co. an der Ecke Fifth Avenue.

“Das beruhigt mich sofort, da ist es so still und alles sieht so vornehm aus, dort kann einem nichts Schlimmes zustoßen, nicht bei diesen freundlichen Herren in ihren schönen Anzügen und diesem wunderbaren Geruch nach Silber und Krokodillederbrieftaschen. Wenn ich im richtigen Leben mal einen Ort finde, wo ich mich so fühle wie bei Tiffany, dann werde ich Möbel kaufen und dem Kater einen Namen geben.” (S. 44-45)

Ein festes Einkommen hat unsere junge Protagonistin nicht, außer 100 Dollar pro Woche für die sie einen alten Mafiaboss (Sally Tomato) im Gefängnis besucht und ihm den Wetterbericht vorliest, den sie von seinem Anwalt zugesteckt bekommt. Sonst fällt es ihr nicht schwer, sich von reichen und attraktiven Herren aushalten zu lassen.

Doch irgendwann wird Holly direkt mit ihrer Vergangenheit konfrontiert: Zum einen, als ihr Ehemann, der Tierarzt Doc Golightly, auftaucht, um sie, eigentlich Lulamae,  nach Hause auf die Farm nach Texas zu den Kindern zu holen. Doch Holly überzeugt ihn, dass ihr Leben in New York ist und verliebt sich in den Diplomaten José aus Brasilien. Zum anderen erhält sie die Nachricht, dass ihr Bruder im Krieg gefallen ist. Eine Nachricht, die ihr den Boden unter den Füßen weg zieht. Aber José gibt ihr Halt und bringt sie ins Leben zurück. Kann es ihm jedoch gelingen, den Paradiesvogel wirklich zu zähmen?

~

Holly Golithly ist eine junge Frau, die nicht gern an ihre Vergangenheit als Waise und vierzehnjährige Ehefrau des Tierarztes erinnert wird. Sie floh nach Hollywood, wo sie die Sprache der Edlen und Reichen lernte und hofft nun, in New York die große Liebe in Form eines reichen Mannes zu finden. Sie ist jung, frei und wild und fügt sich keinerlei Konventionen. Sie lebt, als sei jeder Tag der letzte und genießt dies in vollen Zügen. Sicherheiten im Leben? Nein… Bis auf Tiffany’s.

Capote beschreibt in seinem kurzen Roman das Leben der jungen Frau aus der Sicht des jungen Schriftstellers. Er bedient sich dabei typischer Elemente wie der jungen Frau, die mittellos nach New York kommt und dort berühmt werden will und diverser satirischer und gesellschaftskritischer Mittel. Er zeigt das Bild einer Gesellschaft, die aus Sehen und Gesehen-werden besteht, die sehr auf Äußerliches bedacht ist und im Glitzer und Glamour leben will. Dies zeigt auch die Beschreibung der Charaktere mit denen Holly verkehrt. Gerade die “Freunde ” Rusty und Mag – er einer der reichsten Junggesellen New Yorks und sie ein Starlet – zeigen, wie schnell es sich mit der Freundschaft erledigen kann, wenn man nicht mehr ins gesellschaftliche Bild passt. Genauso auch Hollys fast Ehemann José, der nach langer Zeit so etwas wie “ankommen und bleiben” für sie bedeutete. Durch den Skandal mit Mafiaboss Sally durfte er natürlich nicht mehr bei ihr bleiben, da sich ein wichtiger Diplomat nicht mit einer Kleinkriminellen sehen lassen durfte.

Ganz anders zeigen sich aber Holly, der Schriftsteller und Joe, der Barkeeper. Holly verkörpert den typischen amerikanischen Traum: Das junge Mädchen mit schlechter Vergangenheit träumt vom Paradies in New York. Ein tolles und prunkvolles Leben an der Seite eines toll aussehenden Millionärs, der sie auf Händen trägt – das wäre der Idealzustand. Und diesen Traum verfolgt sie mit einer nahezu kindlichen Naivität, die sie aber mit vollstem Ernst lebt! Sie weiß einen Rat für jede Lebenslage und hat die Welt scheinbar im Griff. Sogar im inhaftierten Mafiaboss Sally sieht sie nur das Gute. Er ist doch eigentlich ein netter und großzügiger Mann! Holly, das Mädchen, dass die High Society im Griff zu haben scheint und tief im Inneren ein Kind geblieben ist. Ein Kind, das stets vor den schlimmen Dingen im Leben geflohen ist und seinen Ruhehafen sucht. Man wünscht ihr von ganzem Herzen Glück dabei und klammert sich an die Hoffnung, dass es ihr geglückt ist, als die einzige Postkarte ihre alten Freunde erreicht:

“Brasilien war schauderhaft, Buenos Aires dagegen fabelhaft. Nicht Tiffany, aber fast. Bin an Hüften verbunden mit 1a $enor. Liebe? Glaube ja. Schau mich jedenfalls nach Behausung um ($enor hat Frau, 7 Gören) und werde Dich Adresse wissen lassen, sobald ich sie selber weiß. Mille tendresse.” (S. 118).

Der Schriftsteller ist eigentlich Hollys wahrer Hafen und ein wundervoller Mensch. Sie kabbeln und streiten und vertragen sich wieder und das Wichtigste: Sie sind immer füreinander da. Ja, Holly versucht sogar, mithilfe ihrer vielen Kontakte die Karriere des jungen Mannes anzutreiben! Und der dritte Mann im Bunde ist letztendlich Joe, der Barkeeper, den sie mehrmals täglich aufsucht, um zu telefonieren und um ihre Post zu holen. Trotz tiefer Brummigkeit erkennt man sofort, dass er die junge Frau sehr ins Herz geschlossen hat.

Knapp 120 Seiten umfasst dieses Buch und ich könnte Bücher darüber schreiben! So wundervoll wie Capote die Welt durch Hollys Augen beschreibt. Wie ein warmer Windhauch umspielt es die Leserseele und man will wissen, wie es Holly jetzt geht, was sie erlebt hat, wo und ob sie angekommen ist. Sitzt sie in Südamerika, in Afrika oder in Europa? Ist sie gut aufgehoben oder genießt sie ein Glas Champagner bei Tiffany’s? Dieses Buch ist so sehr Pflicht in jeder noch so kleinen Bibliothek wie das kleine Schwarze, das Audrey Hepburn in der Verfilmung trug. Nehmt dieses kleine Buch und genießt es, genießt jede Seite und vor allem gebt Holly einen Platz in eurem Herzen, sodass auch der Kater endlich einen Namen bekommen kann. Einfach nur bezaubernd!