Rezension

Ein Tupfen Künstlergilde

Sei mir ein Vater
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Anne Gesthuysen wird um die Schwächen ihres neuen Romans selber wissen oder sie wäre keine gute Autorin. Ähnlich wie ihre "Heldin" Georgette Agutte es nicht wagte, dem Rat ihres Kollegen Henri Matisse zu folgen und verschwenderisch mit Farbe umzugehen, hat auch Gesthuysen das Risiko gescheut, entweder gleich einen historischen Roman zu schreiben oder die psychologische Figurenführung eines Familienromans zu betreiben. So bleibt am Ende nur eine Art längerer Schulaufsatz.

Das französische Ehepaar Georgette Agutte-Sembat und Marcel Sembat gehörte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zur führenden Klasse Frankreichs. Georgette Agutte war eine talentierte Malerin und ihr Ehemann Marcel Sembat, Sozialist und Politiker sowie Mäzen der Avantgarde junger, aufstrebender Künstler, vornehmlich der Malerei. Das Ehepaar erlebte ruhige und stürmische Zeiten, der Erste Weltkrieg und seine Vorschatten zerstörten die politische Karriere Marcels.

Viele Namen, die heute Klang und Rang haben, treten auf, Camille Pissarro, Henri Matisse, Aguste Renoir, Pablo Picasso, Amadeo Modigliano, Paul Signac und dgl. mehr und machen den Roman „Sei mir ein Vater“ von Anne Gesthuysen zu einem vergnüglichen Parcours durch die französische Künstlerszene.

Der Aufhänger dazu, eine zweite Zeitschiene, die ab den 1980er Jahren spielt und die Personen Lilie Agutte, Hanna und Hermann umfasst und in der man auf eine Bildersuche seitens Lilies berühmter Ahnen geht, ist der Autorin misslungen. Denn der auf die Gegenwart bezogene Strang kommt hölzern, kindisch und zum Teil lächerlich daher, strotzt vor Klischee und kann von der Autorin nicht zum Leben erweckt werden. Und er ist auch keineswegs Mittelpunkt der Erzählung, was merkwürdig anmutet, da die Beziehung Lilie-Hermann sogar titelgebend ist! Insoweit verfehlt der Roman sein eigenes Thema.

Darüber hinweg tröstet der historische Teil, hauptsächlich weil viele nette Details zutage gefördert werden. Schade, dass sich die Autorin nicht auf einen historischen Roman konzentriert hat.

Die bevorzugte Erzählweise im Plusquamperfekt (man denkt, erinnert und reflektiert, handelt aber nicht), verhindert, dass die Erzählung lebhaft wird und richtig in Schwung kommt. Jeder Dialog wird erklärt. Das verärgert. Ein allwissender Erzähler statt der Lilie-Perspektive hätte stilistisch besser gewirkt!

Fazit: Der künstlerbezogene Teil ist informativ und sehr anschaulich erzählt.  Weil ich mich füs Kunsthistorische interessiere und dieser Teil liebevoll vermittelt wurde, vergebe ich großzügig ganze 3,5 Punkte.

Kategorie: Unterhaltung (mit Histobezug)
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2015