Rezension

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Ein typischer Houellebecq aber politisch interessant.

Unterwerfung
von Michel Houellebecq

Bewertet mit 4 Sternen

Das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland und Frankreich haben nach der Erscheinung dieses Buches nicht aufgehört sich weiterzuentwickeln. Mit ein wenig Abstand las ich dieses Buch dann doch mit anderen Augen.

Sicherlich sind die sexuellen Eskapaden, die Francois (dem Haupzprotagonisten im Buch) erlebt, für manchen abstoßend, für andere gehören sie zum houellebecqschen Buch einfach dazu. Ich hatte sie mehr oder weniger schon erwartet, konnte sie geistig beiseitelegen und mich auf den Rest des Textes konzentrieren.
Zweifellos gehört der Literaturwissenschaftler Francois zu den Machos (S.34-35), aber er bemerkt auch, dass der gesellschaftliche Umbruch der westlichen Welt nicht mehr genug Kinder für ein "ordentliches Patriarchat" hat. Da kommt es ihm wohl gerade recht, dass die Muslimische Bruderschaft immer mehr Macht im Lande gewinnt. Eines ihrer Ziele ist die Neustrukturierung des Bildungssystems, bei dem Mädchen nicht mehr für alle Schulen zugelassen und eigentlich nur noch auf die hausfraulichen/islamischen Pflichten vorbereitet werden sollen. Damit wäre auch der Demografie geholfen, denn schließlich setzt sich die Bevökerungsgruppe mit der höchsten Geburtenrate auch bei den Werten durch! (S.72)
Die Anschläge in Paris lassen Francois kalt, er flüchtet ins Kloster, findet dort aber nicht die Erfüllung seiner Sehnsüchte und kehrt nach Paris zurück. Seine Studentinnen tragen inzwischen Burka und seine Kollegen erzählen ihm von Hochzeiten mit Zweit- und Drittfrauen. Selbst mittelmäßige Hochschullehrer bekommen plötzlich ein dreifaches Gehalt, wenn sie sich zum Islam bekennen.

Bei der Lektüre war ich immer wieder erstaunt, wie gleichgültig der Protagonist Unruhen, Nachrichtensperren, seine Entlassung und sogar Tod von Mutter und Vater hinnimmt. Einzig die Nichterfüllung seiner körperlichen Bedürfnisse (und dazu zähle ich auch die unbequemen Bahnfahrten) scheinen ihn zu beunruhigen. Er verfolgt schon Wahlergebnisse und spricht mit Kollegen und Bekannten über das aktuelle Geschehen, aber doch nur, um sich seiner Lebensentscheidungen bewusst zu werden und nicht etwa um politisch aktiv zu sein.

Im empfinde die Geschichte im Buch aktueller denn je. Wir lassen uns ablenken von Kochsendungen (S. 100) und Castingshows, lassen uns kommunale Systeme von Unternehmen finanzieren, ohne deren Ziele zu kennen und verschwenden unsere Gedanken nur noch auf Schein und Sein. Uns soll es gut gehen, da können wir ruhig frühere Überzeugungen (wenn wir sie denn je hatten) über Bord und uns unseren Idolen an den Hals werfen.

Houellebecq entwirft eine Dystopie, die schon teilweise von der Realität eingeholt worden ist. Ich erinnere nur an die Verhüllung der "nackten" Frauenstatuen in Rom bei Rohanis Besuch. Ich weiss natürlich nicht, welche Absicht der Autor beim Schreiben seines Werkes verfolgt hat (im Nachhinein kann man vieles behaupten), aber für mich war es eine fein beobachtete und weitergesponnene Gesellschaftstudie mit einem unverkennbaren Fingerabdruck der Sexphantasien des Meisters höchstpersönlich. Vielleicht sollte ich ihm in diesem Punkt sogar dankbar sein, denn jeder weiß schließlich: "Sex sells!" und so transportiert sich seine Geschichte in mehr Köpfe als ein rein politisches Werk.