Rezension

Ein umfangreiches und sensibles Aufklärungsbuch!

Mein Familienkompass - Nora Imlau

Mein Familienkompass
von Nora Imlau

Bewertet mit 4 Sternen

Meine Meinung

Ich folge der Autorin schon lange auf ihrer FB-Seite und mir gefällt, was sie über Kinder, Bedürfnisse, Wünsche, Freiheiten wie auch Grenzen von Kindern und Eltern erzählt.

Auch ich bin Mutter, habe zwei Kinder und stoße täglich an meine Grenzen. Ich muss versuchen das Muttersein und meine Kindererziehung mit meinem Arbeitsplatz und auch meiner verdienten Freizeit unter einen Hut zu bringen, und das alles möglichst unkompliziert, so gut es geht. Wäre alles nicht so schwer, wenn Kinder nicht kleine Menschlein mit eigenem Charakter und Vorstellungen von ihrem Leben hätten. Deshalb war ich auch auf das neue Buch von Nora gespannt. Ich wollte möglichst viel Input und Unterstützung bekommen.

Dieses Buch ist kein Familien- und Erziehungsratgeber im eigentlichen Sinne. Die Autorin zeigt die historische Entwicklung von Erziehung in Deutschland und der DDR auf, geht auf viele wissenschaftliche Erkenntnisse ein und klärt Eltern auf, was ihrer Meinung nach nötig ist, wenn man eine zugewandte Elternschaft leben möchte. Damit führt sie neben der bedürfnis- bzw. bindungsorientierten Erziehung eine neue Begrifflichkeit ein, die mir sehr gut gefällt.

Im Kern geht es darum, dass Eltern ihre Macht Kindern gegenüber nicht ausnutzen. Es gilt zu erziehen, und zwar ohne Gewalt und ohne Strafen. Doch wie ist das möglich?

“Weil unsere Kinder von uns Erwachsenen so abhängig sind, tragen wir die Verantwortung für unsere Beziehung zu ihnen. Dazu gehört auch, Frust und Wut von Unterlegenen auszuhalten, ohne es ihnen aus unserer überlegenen Machtposition heraus mit gleicher Münze zurückzuzahlen.” (BuchS. 119)

Im ersten Drittel klärt Nora Imlau auf, dass die heutige Elterngeneration glücklicherweise einen neuen Weg der Erziehung gehen kann. Doch dieser Weg bringt nicht unbedingt Erleichterung. Es ist eher der schwierigere Weg, im Vergleich zu dem unserer Eltern und Großeltern. Diese hatten mehr oder weniger klare Regeln in Punkto Erziehung, die von der Gesellschaft vorgegeben wurden. “Kinder müssen hören und folgen” und wer das nicht tat, wurde bestraft. Oftmals wuchsen Kinder in Angst gegenüber ihren Eltern auf und verhielten sich ob dieser Angst sehr brav und zurückhaltend. Gut für die Eltern, doch nicht wirklich gut für die Kinder, da sie keine echte Verbindung und Beziehung zu ihren Eltern hatten.

Heute will man es besser machen und die Autorin gibt sehr gute und stichhaltige Antworten und Beispiele, warum die zugewandte Elternschaft besser für Kinder ist. Dies hat mir sehr gut gefallen und war für mich nachvollziehbar.

Probleme ergeben sich nun aus der gewünschten Perfektion von Eltern, die zum einen alles besser machen wollen und zum anderen in den sozialen Medien, wie Instagram zum Beispiel, nur perfekte Familien mit perfekten Kindern und perfekt aussehenden Wohnungen / Häusern zu sehen bekommen und daran verzweifeln.

Doch nichts muss, alles kann (was gut tut)! Wir müssen nicht perfekt sein und neben dem Kampf um gute Eltern zu sein, gleichzeitig auch die perfekte Haushälterin zu mimen, den perfekten Kindergeburtstag auszurichten und den perfektesten Kindergartenfestkuchen zu backen.

So schafft dieses Buch zugeleich Erleichterung wie auch Schmerzen! Es ist ein sehr guter Wegweiser, um sich und seine Familie einzunorden und für sich zu erörtern, was man will, brauch und kann, um an seine Ziele, die man wieder niedriger stecken muss / kann, zu gelangen. Doch gleichzeitig zeigt es in aller Bandbreite die Defizite auf, die man aus seiner Kindheit mitbringt und überreicht bekommen hat, gegen die man permanent ankämpfen muss. Denn das sogenannte Bauchgefühl, auf das man sich oftmals verlassen hat, “ist [ … ] in vielen Fällen nichts weiter als eine wilde Mischung eigener Erfahrungswerte sowie Glaubenssätzen und Überzeugungen, die wir unbewusst aus unserer eigenen Kindheit mitgenommen haben, und die jetzt unser Denken und Fühlen in Bezug auf unsere eigenen Kinder prägen.” (Buch S.18)

Somit stehen wir als Eltern vor einer Mammutaufgabe, die so nicht zu bewältigen ist, ohne seine Glaubenssätze zu be- und zu hinterfragen und neu zu sich zu finden.

Nora Imlau gibt ihrer Leserschaft auch kleine Einblicke in ihre eigenen Verfehlungen und Tipps, wie man mit der einen oder anderen Situation beherrschter und gelassener umgehen kann. Auch dies ist hilfreich, denn es gibt genug Eltern, die sich mit neuen und anderen Ideen schwertun, die sie nicht kennen und tief in ihren emotionalen Blockaden stecken und nicht frei umdenken können.

Hier hätte ich mir deutlich mehr Offenlegungen und Anregungen von der Autorin gewünscht. So bleibt deshalb doch der Eindruck bestehen (obwohl sie in dem Buch dies oft negiert und dagegen ankämpft, sie so zu sehen), dass die Autorin unglaubliche Kräfte besitzt, um ein Familienleben mit 4 Kindern zu wuppen, eine gesunde Paarbeziehung zu leben, in ihrer Freizeit (welcher Freizeit?) permanent neue Bücher zu schreiben, ihre sozialen Medienkanäle auf Facebook und Instagram zu bedienen, auf Leserpost zu antworten, Interviews zu führen…

 

Fazit

Trotz kleiner Kritikpunkte, insgesamt ein absolut lesenswertes Aufklärungsbuch über Erziehung, Elternschaft, Kinderempfindungen, Gewalt und Strafen. Ein Buch, das ich ganz sicher noch ein paarmal lesen werde, um mir die eine oder andere Erklärung und auch Empfehlung in Erinnerung zu rufen. Denn aus meiner praktischen Erfahrung mit meinen Kindern habe ich jetzt schon festgestellt, dass vieles, das Frau Imlau empfiehlt, sich als richtig und hilfreich erwiesen hat.