Rezension

Ein unglücklicher Genre-Mix, der zu gar nichts führt.

Was wir voneinander wissen - Jessie Greengrass

Was wir voneinander wissen
von Jessie Greengrass

Bewertet mit 2 Sternen

Krudes Sammelsurium unausgegorener Gedanken und Binsenwahrheiten. Philosophisch? Keine Spur.

Bestimmt ist es individuell betrachtet ein außerordentliches Ereignis, ein Kind zu bekommen. Schon die Entscheidung dazu, ob oder ob nicht, wer ist „würdig“  Mutter zu werden und kann man dieser Aufgabe, ein Kind großzuziehen, gerecht werden, führt bei der Icherzählerin zu emotionalen Verwerfungen. 

Zitat: „Manchmal erscheint es mir als zutiefst selbstsüchtig, ein Kind zu bekommen, um so zur Mutter zu werden; doch als genau so selbstsüchtig empfinde ich es, ein Kind zu bekommen und ich selbst zu bleiben oder gar keins zu bekommen.“ 

 Also individuell betrachtet ist es ein super außerordentliches Ereignis, aber ist es die Tatsache, dass man ein Kind bekommt allein, wert, ein Buch daraus zu machen? Natürlich nicht. Zumal wir hier nicht einmal einen authentischen autobiografischen Bericht lesen, wir lesen nicht von aufwallenden Emotionen, die es vielleicht, aber auch nur vielleicht wert gewesen wären, verlegt zu werden, sondern wir haben nur eine autobiografische Fiktion vorliegen. Deshalb, um das Erleben der Protagonistin aufzuhübschen und aufzumöbeln, macht die Autorin Anleihen bei der Biografie namhafter Personen. 

Sicher, es mag anregend sein und durchaus bereichernd, von der innigen Beziehung von Anna (Tochter) und Siegmund Freud (Vater) zu erfahren, wenngleich man Anna gewünscht hätte, sie hätte sich nicht in dieser krankhaften Weise an ihren ausgetickten Daddy gebunden und es ist auch krass zu erfahren, wie der erste Kaiserschnitt entstand; wegen mangelnder Hygiene hatten Mutter und Kind keine Überlebenschance. Ja und man graust sich ordentlich darüber, wie in den Kriegen Anno Dunno die Verletzten chirurgisch behandelt wurden, so dass es fast besser gewesen wäre, sie wären unbehandelt geblieben. 

Doch, was bitte, soll daran philosophisch sein? Vielleicht die Tatsache, dass die ganze Menschheitsgeschichte aus purem Zufall besteht? Und selbst diese schwache Verbindungslinie muss im Kopf des Lesers entstehen ohne entsprechenden Hinweis der Autorin.

 Die Autorin bietet dem Leser einen seltsamen Mix aus willkürlich herausgegriffenen kruden biografischen Details berühmter Wissenschaftler an und stellt diese dem Leben der Protagonistin gegenüber. Eventuelle Verbindungen zwischen dem einen und dem anderen Thema kann der Leser jedoch selber schaffen oder eben auch nicht. Warum gerade Wissenschaftler? Warum gerade diese und nicht jene? Don’t know. Nicht einmal die Sinnfrage stellt die Autorin in Klarheit und Schärfe „Der Sinn von alles“. Das wäre doch zumindest mal ein Ansatz von Philosophie gewesen! 

Fazit: Wenn man sich an der Anpreisung als philosophischer Roman nicht allzu sehr aufhängt, kann die Leserschaft sich ein wenig an Verkündigungen über Verantwortung und Ichwerdung mit einem Hauch esoterischen Gedankenguts versehen, erfreuen, die freilich sehr nahe an abgedroschene Binsenwahrheiten heranreichen - und zusätzlich einige nette Wissensschnipsel aus dem Hause Freud, Röntgen und John Hunter mit nach Hause tragen. 

Einen philosophischen Roman stelle ich mir allerdings anders vor, nämlich zum Beispiel wie „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq, der die Beschäftigung des Protagonisten mit einem (sehr langweiligen) Literaten aus dem 19./20. Jahrhundert (Joris-Karl Huysmans) meisterhaft mit seinem eigentlichen Thema verbunden hat. 

 Kategorie: Belletristik
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2020