Rezension

Ein unvergeßliches Leseerlebnis

Echo der Toten. Ein Fall für Friederike Matthée - Beate Sauer

Echo der Toten. Ein Fall für Friederike Matthée
von Beate Sauer

Echo der Toten ist ein beeindruckendes Buch, das nicht nur in den Hungerwinter 1947 entführt, sondern auch zutiefst berührt.

 

Erst einmal will ich zwei Dinge einräumen.

Bücher, die die Diktatur der Nationalsozialisten und die Zeit danach thematisieren, sind fast immer ein must read für mich. Diese menschenverachtende Zeit darf nicht vergessen werden. Deshalb hatte ich mich um den ersten Fall der Friederike Matthée bei Vorablesen beworben und mich sehr gefreut, als ich ein Leseexemplar vom Verlag bekam.

Das zweite ist: Die Autorin, die mir vorher nicht bekannt war, hat mich mit ihren Figuren und der guten Erzählung so sehr fesseln können, dass ich auch die Nachfolgebände lesen werde.

Jetzt könnte ich eigentlich aufhören.

Das Buch war gut. Kauft es. Lest es. Denn es war sehr berührend, es war zum Schreien und Weinen und Jubeln grausam und schön. Es hat mich zu Tränen bewegt.

Was konnte Beate Sauer, was andere nicht können?

Echo der Toten ist ein Buch für unsere Zeit. Und der Titel könnte nicht besser sein. Denn das Echo der Toten wird heute wieder lebendig in Büchern wie diese. Momentan rollte durch Deutschland eine Welle von Büchern und Filmen, die diese Zeit aus deutscher Sicht, völlig unsentimental, ohne Beschönigung, beschreibt. Erstmals wird der Krieg und die Nachkriegszeit nicht von den Siegern in Hollywood verfilmt, sondern aus der Sicht der Opfer und Täter – denn auch Juden waren Deutsche – und erst jetzt zeigt sich, welche Wunden die Nationalsozialisten schlagen konnten.

Sie haben ein Europa in Trümmern und grausame Vernichtungslager zurückgelassen und Menschen in so vielen Ländern, die mit ihren Traumen weiterleben mussten. Die inneren Trümmer waren verehrender als die äußeren, und der innere Aufbau ist noch lange nicht abgeschlossen. Das beweist ein Buch wie dieses.

Echo der Toten von Beate Sauer

Als Beate Sauer für ein anderes Projekt recherchierte, stiess sie auf einen kleinen Jungen, der Zeuge eines Mordes wurde. Die historische Tatsache, dass eine weibliche Polizistin ihn zum Reden bringt, indem sie mit ihm unter einen Tisch krabbelt, verwendet die Autorin in einer Szene im Roman.

Friederike Matthée, die hier ihren ersten Fall bearbeitet, bringt den kleinen Peter, der den Mord an einen Schwarzmarkthändler unfreiwillig beobachtet hat, zum Reden und wird so in die Arbeit der englischen Militärpolizei eingespannt.

Warum sollte der Schwarzmarkthändler Jupp sterben? Und warum musste auch sein alter Freund, der Pater aus Steinfeld sterben? Welche Toten jagen sie?

Neben der Aufklärungsarbeit treffen wir im Buch auf verschiedene Menschen – Flüchtlinge aus Ostpreußen; Vertriebene, die in kleinsten Zimmern hausen. Wir begegnen Hunger, fahren durch zerbombte Städte, die einer Mondlandschaft voller Ruinen ähneln, wir treffen auf Deutsche, die mit ihrer Schuld nicht leben können und solche, die die alten Zeiten gerne zurück hätten. Da sind die Fremdarbeiter, die gemeinsam mit den Deutschen hungern, die Überlebenden des Holocaust, die manchmal voller Wut, manchmal einfach voller Schmerz sind. Gemeinsam haben diese Menschen eins: Sie waren Opfer, Zeugen oder Täter in einem Krieg, der sie alle verändert hat.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches stehen sie vor den Scherben der Demokratie, der Träume, der Diktatur. Neben dem Hunger gesellt sich die Scham. Viele gibt es, die einfach weggesehen oder mitgemacht haben, weil sie Angst hatten oder sich bereichern wollten.

Echo der Toten ist ein fesselnder Krimi, angesiedelt im Nachkriegsdeutschland.

Ein deutsches Gesellschaftsportrait der Zeit unmittelbar nach der Diktatur des Nationalsozialisten.

Ich will hier nicht spoilern. Wenn du mich fragst und wenn dir Europa und Demokratie etwas bedeutet, dann musst du dieses Buch lesen.

Nur einen Satz will ich zitieren. Eine der Deutschen, die mit einem jüdischen Mann befreundet war, der später selbst zur Waffe greift und Selbstjustiz wählt, fragt sich an seinem Grab:

„Was haben die Nationalsozialisten nur aus Ruben gemacht?“ Katharina Häuser schauderte. Friederike senkte den Kopf. Ja, was hatten die Nationalsozialisten aus Ruben Goldstein gemacht – und all die Deutschen, die das Morden ignoriert hatten? So wie sie selbst. (S.358)

 

Es gibt einen kleinen logischen Fehler im Roman. In einer Szene wird das Dreikönigssingen thematisiert. Diese Tradition gibt es in Deutschland meines Wissens aber erst seit 1959 – in Österreich schon früher. Das tut der Geschichte aber keinen Abbruch. Für mich rangiert es unter die Freiheit der Fiktion, damit der Plot stimmig wird.

Sehr berührt hat mich als Deutsche auch, im Nachwort von der Aktion Save Europe Now zu lesen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich an der Stelle geweint. Save Europe Now ist die britische Version von Carepakten, initiiert von Victor Gollancz.

Victor war britischer Staatsangehöriger. 1946 bereiste er Deutschland und – obwohl er von dem millionenfachen Mord an Juden durch Deutsche schon 1943 gewusst hatte - war er entsetzt über die erbärmlichen Lebensumstände vieler Deutscher nach dem Krieg.

Er sprach niemals von einer Kollektivschuld und setzt sich für die Carepakete für Deutschland ein.

Victor war Humanist und Demokrat. Und er war Jude. Er war einer der Menschen, die in einer historisch schweren Zeit über sich hinauswachsen ist, so wie viele unter der Herausforderung geschrumpft sind. Victor war einer der Menschen, die wir nicht vergessen dürfen.

Mir machen Menschen wie Victor Gollancz Mut und Hoffnung, gerade auch in unserer Welt, wo Europa viel zu oft diskutiert wird; wo der Brexit Realität wurde; wo man in vielen europäischen Ländern Angst vor Fremden äußert und sich abschottet. Victor Gollancz zeigt mir, was der Traum von einem vereinten Europa damals bedeutet hat. Davor kann ich mich nur verneigen. Dafür sollten wir auch heute noch kämpfen.

Eine Welt des Friedens können Opfer und Täter und ihre Nachkommen nur gemeinsam aufbauen.

Beate Sauer hat mit Echo der Toten ihren Beitrag dazu geleistet, dass diese Wahrheit nicht vergessen wird.

Ich sage Danke an Beate Sauer für Lesestunden, die mich berührt, herausgefordert und auch ermutigt haben. Diese Personen werden mich noch lange begleiten und inspirieren.