Rezension

Ein verrückter Road Trip durch die Philosophie

Wo ein bisschen Zeit ist ...
von Emil Ostrovski

Ein verrückter Road Trip durch die Philosophie

Der junge Jack Polovsky spürt keine Hoffnung mehr und überlegt kurzzeitig, seinem Leben am Morgen seines Geburtstags ein spontanes Ende zu setzen. Kurz darauf erreicht ihn jedoch der Anruf seiner Ex-Freundin Jess. Diese liegt in den Wehen und schenkt gerade dem gemeinsamen Kind das Leben. Obwohl Jack zunächst entschieden gegen den Nachwuchs war, macht er sich sofort auf den Weg zu ihr. Dort angekommen erwartet ihn neben dem Wunder des Lebens allerdings eine böse Überraschung: Jess gibt den gemeinsamen Sohn zur Adoption frei, und die zukünftigen Adoptiveltern warten bereits gespannt darauf, dem neuen Familienmitglied ein liebevolles Heim zu geben.

So sehr sich Jack zunächst auch gegen den Gedanken an eine so frühe und ungeplante Vaterschaft gewehrt hat, bringt er es nach den ersten Momenten mit seinem Sohn dennoch nicht übers Herz, ihn ohne Weiteres in die Obhut fremder Menschen zu geben. So beschließt er kurzerhand, seinen bis dahin namenlosen Sohn aus dem Krankenhaus zu entführen, um ihn wenigstens einmal seiner an Demenz erkrankten Großmutter zu zeigen. Mit der Flucht aus dem Krankenhaus beginnt für Jack, den neugeborenen Sokrates, Jacks besten Freund Tommy und Jess ein Abenteuer, das Abschied und Neuanfang zugleich ist …

Menschen werden nun mal verletzt. Menschen, die Gefühle haben und sich Gedanken machen. Nur wer nichts fühlt und sich keine Gedanken macht, wird nicht verletzt. – Seite 71 –

Ein ganz besonderer Roman über die Fragen des menschlichen Seins

Wo ein bisschen Zeit ist … von Emil Ostrovski ist trotz der jugendgerechten Sprache kein Roman, der sich ohne Weiteres überfliegen lässt. Vielmehr erzählt der Autor eine humorvolle und dennoch anspruchsvolle Coming-of-Age-Geschichte, bei der sich alles um Jacks Gedanken über Gott und die Welt dreht. Und da Selbstgespräche und Monologe auf Dauer doch ein wenig einseitig wirken, bekommt er mit seinem Sohn Sokrates einen passenden Diskussionspartner. Eigentlich antwortet ihm zwar eher Jacks Unterbewusstsein, doch das ist einfach nicht so spektakulär wie ein philosophierendes Neugeborenes, das regelmäßig die Gedanken seines Vaters hinterfragt und ihm somit ständig neue Denkimpulse mit auf den Weg gibt.

Trotz aller tiefsinnigen Gedanken sind Jack, Jess und Tommy vor allem eins: Teenager, die sich gerade an der Schwelle zum Erwachsensein befinden und ihren Platz in der Welt noch suchen. Während Jack die Dinge immer wieder unter verschiedenen philosophischen Aspekten betrachtet, gibt sich Jess eher rational. Manches Mal wirkt sie fast schon abgeklärt, doch im Verlauf der Handlung zeigt sich immer wieder, dass auch sie ein großes Herz besitzt. Im Gegensatz zu ihrem Ex-Freund lässt sie sich allerdings nicht einfach so von der Romantik eines Gedankens verführen. Tommy erscheint hingegen als oberflächlicher Witzbold. Auch hinter seiner Fassade verbirgt sich ein ernster Junge, der das jedoch hervorragend mit Humor und einer scharfen Zunge zu überspielen weiß. Und Sokrates ist vor allem eins – ein Baby mit einem abgefahrenen Namen, das beweist, dass Neugeborene tatsächlich mehr aushalten als gedacht. Der unbeholfene, aber besorgte Umgang mit dem Jungen zeigt nämlich immer wieder, dass Jess ihre Entscheidung nicht leichtfertig und unberechtigt, sondern aus tiefer Liebe zu ihrem Sohn getroffen hat.

Fazit

Wo ein bisschen Zeit ist … hebt sich deutlich von den anderen Jugendromanen ab und traut sich anders zu sein. Die Charaktere sind nicht immer bequem und verkörpern auch nicht die reichen, beliebten oder sorglosen Teenager, denen man sonst so häufig in einem Jugendroman begegnet. Sie alle tragen ihre Geschichte mit sich und haben wohl auch deshalb Ecken und Kanten. Die Handlung beschreibt zwar einen abenteuerlichen und humorvollen Road Trip, doch viel wichtiger ist die Reise durch die Philosophie, das Leben und das Universum. Und ganz in ebendieser Manier wirft jede gefundene Antwort zugleich zehn neue Fragen auf. Dieser Roman ist eine Empfehlung für alle, die gelegentlich die persönliche Weiterentwicklung eines Charakters einer spannenden Handlung vorziehen und sich nicht vor Tiefgang scheuen.