Rezension

Ein wahnsinnig mitreißender Auftakt, aber…

Die Schattenschrift - Dana Carpenter

Die Schattenschrift
von Dana Carpenter

Bewertet mit 4 Sternen

Lange hat mich ein Buch nicht mehr so in seinen Bann gezogen wie dieses! Dabei kann man es nicht eindeutig einem Genre zuordnen: Aufgrund des historischen Settings in Tschechien des 13. Jahrhunderts liest es sich wie ein historischer Roman, doch durch Maus‘ Fähigkeiten hat es eindeutig fantastische Elemente. Diese Mischung hat mir sehr gut gefallen! Maus hat mich von Beginn an fasziniert. Sie ist ein junges Mädchen, das kurz nach der Geburt von einer Amme in ein Kloster gebracht wurde und von da an mit ihr dort lebte. Sie kennt weder ihre Eltern noch hat sie einen Namen. Doch obwohl sie im Kloster aufwuchs und ein gläubiger Mensch ist, ist Maus nicht getauft. Sie hat eine Gabe und kann Dinge sehen und hören, die andere nicht können. Diese Macht lässt sie als Hexe gelten und daher im Kloster Schutz finden.
Das Buch setzt mitten in der ersten entscheidenden Szene ein und der Leser bekommt die Hauptfigur nicht vorher behutsam vorgestellt, sondern erfährt nach und nach etwas über sie. Der junge König wurde angeschossen und auf der Suche nach Heilung wurde er ins Kloster gebracht. Da alle heilkundigen Mönche abwesend sind, versucht Maus mithilfe ihrer Ausbildung als Heilerin das Leben Ottokars zu retten. Da er nicht schnell genesen wird, aber sofort nach Prag muss, nimmt der König kurzerhand Maus mit zu sich nach Prag als ihr Mündel. Schnell wird klar, dass die beiden etwas verbindet und sie sich mehr als nur sympathisch sind.
Die Handlung setzt sich genauso ransant und spannend fort, wie sie begonnen hat: Maus muss sich mit den Intrigen und der ganz anderen Welt des Königshofes rumschlagen und immer wieder kommt sie in brenzlige Situationen, in denen ihre Macht zu Tage tritt. Da das Buch ausschließlich aus ihrer Sicht geschrieben ist, kann man sich als Leser sehr leicht mit ihr identifizieren und mit ihr die Berg- und Talfahrt ihres Lebens miterleben. Das macht einen Großteil des Charmes aus, den dieses Buch versprüht. Mir hat auch vor allem der Aspekt ihrer Macht sehr gefallen, da das ein fantastisches Element in den historischen Kontext bringt. So wie ich das sehe, war es auch nicht die Absicht der Autorin ein historisch korrektes Buch zu schreiben, – denn so wie ich es recherchieren konnte, sind die Figuren alle fiktiv – sondern eher den Aspekt der Macht durch den historischen Aspekt besonders zur Geltung zu bringen. Sie hätte natürlich auch eine ganz eigene Welt kreieren können, doch gerade dadurch, dass es in unserer realen Welt spielt, hat die Geschichte einen besonderen Reiz.
Allerdings muss ich sagen, dass das Buch ab der Hälfte an Qualität verliert. Zu Beginn dachte ich, dass es ein 10-Punkte-Kandidat ist, doch dann nach einer Highlight-Szene mit ihrer Macht, kippte die Stimmung zur Liebesschnulze und wurde am Ende gar ganz abstrus, als Maus das Weite suchte und allein für sich lebte. Bei dieser Episode von Maus‘ Leben sind Jahre vergangen, die der Leser nicht miterlebt. Ich habe kein Problem damit, wenn ein Buch nur die wichtigsten Episoden aus dem Leben der Figuren erzählt. Diese Konstruktionsweise kann maßgeblich dazu beitragen, die Spannung hochzuhalten ohne Abstriche bei der Atmosphäre machen zu müssen, doch hier hatte es eher die Wirkung dieser Art Bücher die das ganze Leben einer Frau darstellen müssen und dabei von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt hopsen. Und diese Sorte Bücher kann ich leider überhaupt nicht ausstehen. Maus‘ Verhalten wirkt opferhaft und unreflektiert und auch wenn dies vielleicht zur Zeit passen könnte, ist Maus ja kein „normaler“ Mensch und ich hätte mir ein anderes Verhalten von ihr erhofft.
Zudem hätte ich nach dieser erwähnten Highlight-Szene etwas völlig anderes erwartet, als dass sie auf einmal nur ihren König anschmachtet, denn von dem Moment an, als es mit der Macht wirklich interessant zu werden schien, bricht dieser Handlungsstrang ab. Auch die Erklärung am Ende woher ihre Macht kam, finde ich extrem banal und weit hergeholt, allein deswegen, weil es im Buch genannt wurde, ohne es näher zu beleuchten oder es aus der Story heraus zu entwickeln. Maus bekommt es gesagt – fertig. Auch das Finale des Buches, bei dem der König in die Schlacht zieht, finde ich extrem überzogen und daher hat es mir überhaupt nicht gefallen.
Gestört hat mich im diesem Zusammenhang auch der deutsche Titel des Buches Die Schattenschrift. Ich habe daraufhin erwartet, dass eine solche einen wichtigen Teil des Buches ausmacht. Es kommen zwar zwei Bücher vor, die mutmaßlich zur Beherrschung von Maus‘ Fähigkeiten und zur Erkenntnis woher diese kommt beitragen könnten, doch auch dieses Potential wurde vollkommen verschenkt, da das erste Buch nicht lesbar war und die Bücher letztlich keine Rolle mehr spielten. Da habe ich mir wirklich etwas anderes vorgestellt.
Da ich dem ersten Teil 10 Punkte geben würde und dem zweiten nur 6 komme ich auf einen Mittelwert von 8 Punkten für dieses Buch. Ich finde es so schade, denn die Geschichte hätte noch so viel Potential gehabt. Aber vielleicht hat sich Carpenter mit der Entscheidung einen historischen Kontext einer fiktiven Welt vorzuziehen selbst die Handlungsmöglichkeiten genommen, daraus eine perfekte Geschichte zu machen.

Fazit: Die Schattenschrift ist ein sehr zweigeteiltes Buch. Mir hat der erste Teil der Geschichte um Maus extrem gut gefallen, da sie nur aus ihrer Sicht geschildert wurde und aufgrund des historischen Kontextes mit fantastischen Elementen das Buch sehr mitreißend war. Allerdings hat genau dieser historische Kontext der Geschichte im zweiten Teil überhaupt nicht gut getan! Maus‘ Fähigkeiten wurden nicht weiter erforscht und verschwanden beinahe völlig aus der Geschichte, um im Finale auf vollkommen unpassende Weise noch einmal zu Tage zu treten. Statt einer interessanten fantastisch-religiösen Geschichte mutierte das Buch eher in Richtung Frauen-Lebensgeschichten-Schnulzenroman. Da das Buch so grandios anfing, tut es mir um das Ende umso mehr leid. Es hätte so schön sein können!