Rezension

Ein (weiteres) poetisches wie schmerzhaftes Meisterwerk

Was fehlt, wenn ich verschwunden bin
von Lilly Lindner

Bewertet mit 5 Sternen

Rezension:

Da mich Lilly Lindners Debüt damals so berührte, möchte ich jedes Buch von ihr lesen – so freute ich mich, als ich zu einer Blogtour zu ihrem ersten Jugendroman, “Was fehlt, wenn ich verschwunden bin”, eingeladen wurde, welcher mich tief berühren konnte.

Der Schreibstil ist ‘typisch Lilly’ – tiefgründige Wortspiele, viele lange und verschachtelte, aber auch genauso viele extrem kurze Sätze, die nur aus 2-4 Worten bestehen, um etwas zu unterstreichen. Die Autorin versteht es, wahre Wortstrudel zu erschaffen, die den Leser in den Bann ziehen und tief in der Seele berühren – mal federleicht, mal hart und unerwartet wie eine Abrissbirne.

In “Was fehlt, wenn ich verschwunden bin” geht es um die 9-jährige Phoebe, ihre 16-jährige Schwester April, und um die kaputte Welt, in der die beiden leben, obwohl alles so schön sein könnte. Doch April hat eine Freundin namens ‘Ana’, was für Anorexia nervosa – Magersucht – steht, und befindet sich deshalb in einer Klinik. Da sich die von den Eltern missverstandenen, hochbegabten Schwestern sehr nahe stehen, beginnt Phoebe April Briefe zu schreiben, auf die sie jedoch keine Antwort erhält. Erst ab der Hälfte des Buches stellt sich heraus, wieso die Antwort auf sich warten lässt – obwohl auch April Briefe an ihre kleine Schwester schreibt.

Und diese Briefe haben es in sich … sowohl Phoebes als auch Aprils – eigentlich klar, hinter beiden steckt ja die Autorin. Während Phoebes Briefe sehnsüchtig, etwas unschuldig und wunderbar poetisch klingen, trafen mich Aprils Briefe schmerzhaft ins Herz. Sie erfährt von ihren Eltern keinen Rückhalt, ist mit ihrer Krankheit auf sich allein gestellt, bekommt unterstellt, sie wäre absichtlich krank. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen aus intakten Familien vielleicht denken, dass es sich hier um eine übertriebene Darstellung handelt – dem ist aber leider nicht so. Sowas passiert tatäschlich.

Ich nehme an, dass das Buch bei vielen Lesern, die ‘Ana’ ihre einzige Freundin nennen, Anklang finden wird, und möchte betonen, dass die Geschichte durchaus triggern kann. Man kann sich darin wiedererkennen, sehr schnell in alte Erinnerungen zurückversetzt fühlen, aber im besten Fall auch schmerzhaft wachgerüttelt werden. Doch wer Lillys Literatur kennt, weiß, dass diese ohnehin mit Bedacht konsumiert werden muss.