Rezension

Ein wichtiges Buch, aber auch harte Kost.

Meine dunkle Vanessa - Kate Elizabeth Russell

Meine dunkle Vanessa
von Kate Elizabeth Russell

Bewertet mit 5 Sternen

Älterer Mann begehrt junges Mädchen, ein Motiv, das wir spätestens seit Nabokovs „Lolita“ kennen. Nun sind im Zuge der #MeToo-Bewegung zahlreiche literarische Auseinandersetzungen mit dieser Thematik erschienen, in denen sich die Opfer, Frauen und Männer, zu Wort melden. Manches davon autobiografisch, anderes fiktional, aber dennoch mehr oder weniger von persönlichen Erfahrungen beeinflusst. So auch Kate Elizabeth Russells Debütroman, in dem Vanessa, ihre zweiunddreißigjährige Protagonistin, das Verhältnis zu ihrem ehemaligen Englischlehrer Revue passieren lässt.

Vanessa ist fünfzehn Jahre alt, als sie auf das Internat in Maine wechselt. Eine Gedichte schreibende Außenseiterin, kaum beachtet, linkisch, schüchtern, typische Postpubertät. Nur Strane, der Englischlehrer (42), schenkt ihr Beachtung, leiht ihr Bücher, lobt sie und baut so eine Verbindung zu ihr auf. Ein Wolf, der die Beute wittert, und das Vertrauen des Teenagers gnadenlos ausnutzt. Sie genießt seine Avancen, fühlt sich geschmeichelt, begehrt, stellt das, was zwischen ihnen geschieht, zu keinem Zeitpunkt in Frage. Selbst dann nicht, als 2017 eine Schülerin Strane des Missbrauchs beschuldigt und Vanessa die Anklage unterstützen soll. Sie weigert sich, will sich die Vergewaltigungen nicht eingestehen, romatisiert dieses Verhältnis noch immer. Sieht nicht, was es bei ihr angerichtet hat. Und Strane? Wie damals benutzt er sie auch heute, verpflichtet sie zu Stillschweigen.

Die Geschichte wird aus der Sicht Vanessas auf zwei Zeitebenen (2000 und 2017) erzählt und macht nicht nur betroffen sondern auch wütend, denn das klassische Täter-Opfer-Schema greift hier nur bedingt. Der Täter weiß genau, was er tut, verbrämt seine pädophile Veranlagung Vanessa gegenüber mit dem Verweis auf Nabokov. Diese hingegen verschließt die Augen, weigert sich, den körperlichen und emotionalen Missbrauch anzuerkennen, das toxische der Beziehung, entwickelt eine Art Stockholm-Syndrom. Aber vielleicht dient dieses Nicht-eingestehen-wollen, die Leugnung, auch nur ihrem eigenen Schutz. Ein wichtiges Buch, aber auch harte Kost. Lesen!