Rezension

Ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte, lebendig geschrieben

Der Horizont der Freiheit - Ines Thorn

Der Horizont der Freiheit
von Ines Thorn

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION – Auf den ersten Blick – und das Cover des Buches mit der eleganten Dame vor der Patriziervilla trägt leider seinen Teil dazu bei – mag das neue Buch von Ines Thorn (55) wie ein nicht allzu anspruchsvoller Liebesroman wirken. Doch nach den ersten Seiten spürt man: Das Buch bietet einiges mehr. „Der Horizont der Freiheit“ ist ein historischer Roman über die Vortage der Märzrevolution von 1848, der uns Leser an der republikanisch-demokratischen Aufbruchstimmung jener Jahre in Deutschland teilhaben lässt. Arbeiter und Bürger lehnen sich gegen die Vorherrschaft von Adel und Monarchie auf, Frauen kämpfen für ihre Emanzipation in der Männerwelt und die seit jeher am Rand der christlichen Gesellschaft stehenden Juden hoffen auf gesellschaftliche Gleichstellung.

Dies alles ist Inhalt des in Frankfurt am Main spielenden Romans, der kürzlich zum 175-jährigen Jubiläum des 1844 gegründeten Verlags Rütten & Loening erschien, heute nur noch ein Imprint des Aufbau-Verlags. Wir erleben die beiden jüdischen Verlagsgründer, den Kaufmann Joseph Rütten (1805-1878), der zwar 1842 seinen Geburtsnamen Jacob Beer Rindskopf abgelegt hat, aber nicht zum Christentum konvertiert ist, und den Verleger Zacharias Loewenthal (1810-1884), der sich erst 1847 nach seinem Wechsel zum Protestantismus in Carl Friedrich Loening umbenennen wird.

Es sind die verschiedenen historischen Facetten, die Thorns Roman jenseits der Liebesgeschichte zwischen dem schüchternen Rütten und Wilhelmine Pfaff, der jungen Witwe eines benachbarten Druckereibesitzers, so interessant macht. Denn der Autorin gelingt es, Fakten und Fiktion symbiotisch miteinander zu verbinden und dadurch dieses wichtige Kapitel deutscher Geschichte, wenn auch räumlich auf Frankfurt begrenzt, trotz aller Sachlichkeit lebendig zu vermitteln.

So begleiten wir die Abgeordneten, zu denen 1848 auch Rütten und Loewenthal gehören, zur Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche, wo sich bürgerliche Konservative erfolglos mit Republikanern zu einigen versuchen. Wir sind aber auch unter den demonstrierenden Arbeitern draußen vor der Frankfurter Paulskirche, in deren erster Reihe Wilhelmines beste Freundin, die rebellische Henriette Zobel (1813-1865) steht. Zobel ging tatsächlich als Regenschirm schwingende „Emanze“ und mutmaßliche Attentäterin in die Frankfurter Stadtgeschichte ein. Im Gegensatz zu ihr emanzipiert sich Wilhelmine Pfaff auf andere Art, in dem sie sich von der rechtlosen Ehefrau in eine erfolgreiche Unternehmerin wandelt – nicht zuletzt dank der Aufträge aus der „Literarischen Anstalt“ der beiden Verleger Rütten und Loewenthal. Beide machten sich, wie wir im Roman ebenfalls erfahren, einen Namen durch die Verbreitung revolutionärer Texte von Karl Marx, Ludwig Börne oder Karl Gutzkow. Den wirtschaftlich größten Erfolg ihrer Anfangsjahre verdankten sie aber dem heute legendären Kinderbuch „Struwwelpeter“ des Frankfurter Mediziners Heinrich Hoffmann.

„Der Horizont der Freiheit“ ist also weit mehr als ein nüchternes Auftragswerk zur Erinnerung an die vor 175 Jahren erfolgte Gründung des Verlags Rütten & Loening. Ines Thorn hat einen sorgsam recherchierten und historisch interessanten Roman geschrieben, der uns zu denken geben sollte: Vor 175 Jahren kämpften viele Deutsche unter Einsatz von Leib und Leben für Freiheit und Demokratie – für hohe Werte, die in unserer heutigen Gesellschaft vielfach missachtet und nicht mehr genügend wertgeschätzt werden.