Rezension

Ein Wiedersehen zweier Liebende, das die Vergangenheit verändert

Der Vorleser
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 4 Sternen

Bernhard Schlink berichtet in seinem Roman "Der Vorleser" von einer Beziehung, die gesellschaftlich in den 60er Jahren nicht akzeptiert wurde und auch heute nicht auf mehr Verständnis stoßen würde. Es ist die Beziehung zwischen dem 15-jährigen Michael und der 20 Jahre älteren Hanna Schmitz.
Dass diese Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, scheint zunächst jedoch nur dem Leser bewusst zu sein, denn Michael fühlt sich seit der ersten Begegnung von Hanna angezogen. Schnell verliebt er sich und genießt die täglichen Treffen mit ihr, die immer einem festen Ablauf unterliegen, so beispielsweise das Vorlesen Michaels.
Durch einfache Sprachen und kurzgehaltene Sätze wird einem Michaels Gefühlslage sehr deutlich, Hanna bleibt jedoch undurchsichtig und oft fällt es einem schwer, Verständnis für ihre Handlungen aufzubringen.
Schon bald endet die Beziehung, mit dem plötzlichen Verschwinden Hannas und Michael bleibt tief getroffen zurück. Dass ihn diese Beziehung geprägt hat und ihn weiter verfolgen wird, ist naheliegend, der weitere Verlauf der Geschichte kommt jedoch unerwartet und erstaunt den Leser. 
Denn aus der einfachen Geschichte eines ungleichen Liebespaares wird viel mehr, als Hanna und Michael sich einige Jahre später im Gerichtssaal erneut treffen, Michael als Student und Hanna als Angeklagte. So erfährt Michael in dem KZ-Prozess viel über Hannas Vergangenheit, unter Anderem als Aufseherin in Auschwitz.
Neben dem Aufgreifen der Thematik der deutschen Vergangenheit, wird der Leser noch mit einigen anderen Fragen und Problematiken konfrontiert, auf die Schlink jedoch nicht immer eine Antwort gibt. So hat Hanna ein Geheimnis, das sie schon ihr ganzes Leben lang hütet, auf das Michael während des Prozesses alleine kommt und den Verlauf entscheidend ändern könnte. Während Michael in einem Dilemma steckt und sich unklar darüber ist,  ob er Hannas Geheimnis zu ihrem eigenen Wohl lüften soll, fühlt der Leser mit ihm und stellt sich unweigerlich auch selbst die Frage, wie er entscheiden würde.
Die Sprache bleibt gleichbleibend gut verständlich, jedoch neigt Schlink dazu, in seinen Beschreibungen manchmal sehr detailliert zu werden, was teilweise anstrengend ist, da der Leser dann schnell dazu neigt, nicht mehr aufzupassen und mit seinen Gedanken abzuschweifen.

Insgesamt erfährt dieser Roman eine große Entwicklung, die ihn umso spannender macht. Eine außergewöhnliche Handlung, die neben der Frage, wie schuldig ein Mensch sein kann im Bezug auf den Nationalsozialismus zur Zeit des dritten Reiches, noch einige weitere kritische Themen anspricht. Dies beschäftigt jeden der es liest und ist deshalb auch unbedingt zu empfehlen.