Rezension

Ein wilder Ritt

Schwarzer Leopard, roter Wolf - Marlon James

Schwarzer Leopard, roter Wolf
von Marlon James

Bewertet mit 5 Sternen

Dass der jamaikanische Man Booker-Preisträger Marlon James keinen Fantasy-Roman schreibt, der die Konventionen des Genres bedient, ist zu erwarten. Zwar gibt es in „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ erzähltechnische Elemente, die wir auch von andere Autoren kennen, aber insgesamt betrachtet sprengt schon der Handlungsort und dessen Beschreibung die Grenzen des Üblichen. Es ist ein surreales, längst vergangenes Afrika, in dem es Dämonen, Gestaltwandler, Hexen und Vampire gibt. Ein Afrika, das sich trotz detaillierter Beschreibung dem Zugriff des Lesers entzieht. Ein abstraktes Land der Mythen, das James mit überbordender Fantasie beschreibt und das als Hintergrund für die Geschichte dient, die der „Sucher“ seinem Zuhörer erzählt, den er wahlweise Priester oder Inquisitor nennt.

Ein Junge ist seit längerer Zeit verschwundenen, doch „das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen.“ Der Protagonist ist Teil eines Söldnertrupps, der ihn wieder nach Hause bringen soll. Eine Reise ins Ungewisse, auf die der Autor den Leser mitnimmt und ihn so manches Mal an den Rand der Verzweiflung bringt, denn sein Erzähler ist äußerst unzuverlässig. Man weiß nie, woran man bei ihm ist, ob man seinen Schilderungen glauben kann. Sagt er die Wahrheit oder stellt er sie bereits im nächsten Abschnitt in Frage?

„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist der Auftaktband einer Trilogie (Dark Star, Teil 1) und ganz sicher keine leichte Lektüre, auch wenn die Handlung und das Personal teilweise an Superhelden-Comics erinnert. Der Roman fordert Konzentration auf das geschriebene Wort, und deshalb sollte man sich nach Möglichkeit auch die entsprechende Zeit dafür nehmen. Denn die Lektüre lohnt sich, nimmt uns Marlon James doch auf einen wilden Ritt durch den schwarzen Kontinent mit und belohnt seine Leser mit einem farbenprächtigen, sprachmächtigen Roman, der zugleich intensives Kopfkino erzeugt.