Rezension

Ein wunderbarer Roman über das Vergessen und die Erinnerung

Elizabeth wird vermisst - Emma Healey

Elizabeth wird vermisst
von Emma Healey

Bewertet mit 5 Sternen

Die 82-jährige Maud sucht ihre beste Freundin. Seit Wochen hat sich Elizabeth nicht mehr gemeldet und auch in ihrem Haus ist sie nicht. Doch immer, wenn Maud mit jemandem über Elizabeths Verschwinden reden will, reagieren die Menschen um sie herum genervt oder ignorieren sie einfach. Niemand glaubt ihr. Und oft ist Maud nicht einmal mehr sicher, ob sie sich selbst noch glauben kann. Denn Maud leidet an Alzheimer. Innerhalb von Minuten hat sie manche Dinge vergessen. Zur Erinnerung schreibt sie sich wichtige Dinge auf kleine Notizzettel. Und immer wieder taucht Elizabeth in ihren Notizen auf. Elizabeth wird vermisst, da ist sich Maud sicher. Aber warum will ihr niemand helfen? Warum hört ihr niemand zu?

Gemeinsam mit dem Leser macht sich Maud auf die Suche nach Elizabeth, stellt Nachforschungen an und gibt sogar Vermisstenanzeigen auf. Dabei geraten Gegenwart und Erinnerung immer mehr durcheinander, denn Elizabeth ist nicht die einzige, die Maud vermisst: Als Maud noch ein Kind war, verschwand auch ihre große Schwester Sukey spurlos.

Maud ist als Protagonistin einfach einmalig: Durch ihre Vergesslichkeit, die sie den Leser als Ich-Erzählerin live miterleben lässt, gerät sie immer wieder in unfreiwillig komische Situationen, die mich oft zum Schmunzeln brachten. Gleichzeitig wollte ich Maud am liebsten an die Hand nehmen und mit ihr auf die Suche nach Elizabeth und Sukey gehen, weil es sonst niemand tut und weil sie ihrer Umwelt so oft hilflos gegenübersteht, ohne zu wissen warum. Amüsieren und mitfühlen – hier geht beides Hand in Hand.

Maud wechselt ständig zwischen der Gegenwart, in der sie kaum fünf Minuten bei derselben Sache bleiben kann, und ihrer Vergangenheit, in der sie als junges Mädchen mit dem Verlust der Schwester umgehen muss. So ergibt sich nach und nach ein Bild für den Leser, während es für Maud immer mehr verschwimmt.
Was es mit Elizabeths Verschwinden auf sich hat, kann man sich dabei recht schnell zusammenreimen. Oftmals kann man einige Informationen und Andeutungen zwischen den Zeilen herauslesen, sodass man sich ein Bild des Geschehens machen kann, auch wenn Maud es gerade nicht einzuordnen weiß.
Gefesselt haben mich aber vor allem die Episoden aus Mauds Vergangenheit, an die sie sich meist durch kleine Dinge oder Handlungen erinnert. Besonders diese Teile der Geschichte sind sehr berührend und ließen mich immer wieder an dem Urteil zweifeln, das ich gerade über die handelnden Personen gefällt hatte. Am Ende fügen sich die Erinnerungen zu einem stimmigen Ganzen zusammen, das trotzdem noch einige Fragen offen lässt.

Emma Healeys Schreibstil ist einfach und gerade deshalb authentisch. Mit viel Einfühlungsvermögen lässt die Autorin den Leser hinter die Fassade der Alzheimer-Krankheit blicken und gibt eine Vorstellung davon, wie es sein muss, wenn man sich selbst langsam vergisst. Gleichzeitig lässt die Geschichte dem Leser aber genügend Raum zum Schmunzeln und Aufatmen, sodass sie zwar berührt, aber nicht erdrückt.

Für mich ist »Elizabeth wird vermisst« eine dieser Zufallsentdeckungen, an die man mit wenigen Erwartungen herangeht und die einen dann einfach in ihren Bann ziehen und nicht mehr loslassen.
Ein rundum gelungener und berührender Roman, der dem Leser einen ganz eigenen Blick auf Alter und Vergessen eröffnet.