Rezension

Ein wunderbarer Roman über den beliebtesten Bankräuber Amerikas

Knapp am Herz vorbei - J. R. Moehringer

Knapp am Herz vorbei
von J. R. Moehringer

Bewertet mit 5 Sternen

J. R. Moehringer: Knapp am Herz vorbei

geschrieben am 11. März 2013 von Simone Keller-Hieronymus & abgelegt unter Bücher und eBooks.

William Sutton war nicht nur einer der bekanntesten, er war vor allem einer der beliebtesten Bankräuber in den USA Anfang des letzten Jahrhunderts. Zeitweise wurde er gefeiert wie ein Volksheld, denn er raubte Banken aus in einer Zeit, als diese zuhauf Bankrott machten, die Ersparnisse vieler einfacher Menschen vernichteten und die Wirtschaft in eine große Depression schickten.  [Cover des Buches cover j r moehringer knapp am herzen vorbei] Und Sutton verzichtete weitgehend auf Gewalt bei seinen Überfällen. Stattdessen nutzte er Verkleidungen, als Cop oder als Wachmann, und den Überraschungseffekt den er damit erzielte. „William the Actor“ nannten ihn die Zeitungen und bald auch der Volksmund.

Aufgewachsen ist Willie in Irish Town, dem Viertel der irischen Einwanderer in New York. Dort sind die Straßen dreckig, die Menschen arm und die Zukunft düster. Am besten verdienen Ganoven und Gangsterbosse, vor allem zu Zeiten der Prohibition. Kein optimaler Start ins Leben also für Willie und so ist es nicht verwunderlich, dass er schließlich auf die schiefe Bahn gerät. Obwohl es erst noch einer großen, unglücklichen Liebe bedarf, um ihn endgültig zum Bankräuber zu machen.
Er verliebt sich in Bess, die Tochter eines gutbetuchten Reeders. Deren Vater allerdings ist nicht begeistert, einen armen Schlucker wie Willie zum Schwiegersohn zu bekommen. Als er ihnen den Umgang miteinander verbietet, rauben Bess und Willie gemeinsam mit Happy, einem Freund Willies, den Reederei-Tresor aus und brennen durch. Doch das Glück währt von kurzer Dauer. Nach wenigen Tagen werden sie geschnappt. Willie kommt ins Gefängnis und Bess wird zu Verwandten nach Hamburg verschifft.
Damit ist Willies Schicksal besiegelt. Sein Leben pendelt fortan zwischen Banküberfällen, Gefängnis-Aufenthalten, spektakulären Ausbrüchen und einem Leben auf der Flucht hin und her.

Moehringer hat aus der Geschichte William Suttons einen unglaublich spannenden Roman gemacht, der sich liest wie Der Pate von Mario Puzo und ein bisschen anIn America erinnert, das grandiose, preisgekrönte Filmepos von Jim Sheridan. Geschrieben ist Knapp am Herz vorbei in einer ganz knappen, verkürzten Sprache, die fast schon journalistisch anmutet, dem Inhalt des Buches aber voll und ganz gerecht wird und wunderbar angenehm zu lesen ist.

Allerdings, und das betont Moehringer bereits zu Beginn des Buches, ist Knapp am Herz vorbei tatsächlich als Roman zu lesen, als eine Vermutung des Autors wie alles gewesen sein könnte, und nicht als eine historisch einwandfrei recherchierte Biographie. Denn Faktenwissen über William Suttons Leben ist spärlich und was man weiß ist ausgesprochen widersprüchlich: die FBI-Akten widersprechen den Zeitungsberichten, widersprechen den Zeugenaussagen, widersprechen den Aufzeichnungen Suttons selbst, die sich ebenfalls widersprechen… . Und Zeitzeugen gibt es leider keine mehr zu befragen.
Aber letztlich spielt das keine Rolle, denn das Buch lebt vor allem von der Atmosphäre in den USA Anfang des letzten Jahrhunderts die Moehringer heraufbeschwört: das Leben in der Halbwelt zwischen kleinen Ganoven und großen Gangsterbossen, in Flüsterkneipen und Freudenhäusern, die Widrigkeiten von Depression und Prohibition, den Beschreibungen der Knastaufenthalte und vor allem der Figur Willie Suttons. Ein großartiges Buch, besser noch als Tender Bar, der letzte Roman Moehringers. Und ganz sicher unbedingt lesenswert!

Originaltitel: Sutton
Übersetzerin: Brigitte Jakobeit