Rezension

Ein wunderschöner Roman über einen mystischen Ort

Sehnsucht nach St. Kilda - Isabel Morland

Sehnsucht nach St. Kilda
von Isabel Morland

Bewertet mit 5 Sternen

1930: Die achtjährige Annie lebt auf der schottischen Insel St. Kilda. Nie würde sie woanders leben wollen, hier war immerhin ihre Heimat! Das Festland klang so merkwürdig: Blechkisten, in denen Menschen reisten, Bäume, die größer waren als Menschen, das konnte nicht stimmen, da war sich Annie sicher. Und selbst wenn: wie könnte es dort jemals schöner sein, als auf ihrer wilden Insel?

Die Bewohner St. Kildas werden evakuiert. Ihre Mutter hatte ihr das als Ausflug erklärt und auch ihr bester Freund Finlay hatte ihr geschworen, wenn es ihr auf dem Festland nicht gefalle, könnte sie, so es Gottes Wille war, zurückkehren. Doch das konnte sie eben nicht, denn Evakuierung bedeutete nicht Ausflug, es bedeutete Abschied für immer.

2005: Annies Enkelin Rachel steht das Wasser seit dem Tod ihres Mannes bis zum Hals. Als sie auch noch zwei ihrer drei Jobs verliert, weil ihr Sohn ein paar Tage ins Krankenhaus muss, die entsprechend hohe Rechnung ihre letzten Rücklagen vernichtet und die Waschmaschine kaputt geht, muss Rachel einsehen, dass sie das tun muss, was sie nie tun wollte: sie muss London verlassen und mit ihrem Sohn Sam zu ihrer Großmutter auf eine schottische Insel ziehen. 

Dort findet sich nur leider kein Job für Rachel, bis ihre Großmutter doch etwas auftut: 4 Wochen als Köchin auf St. Kilda. Rachel bleibt nichts anderes übrig: sie muss den Job annehmen und ihren Sohn widerwillig für die Zeit bei ihrer Großmutter lassen. Nie hätte sie gedacht, dass die Insel sie und ihr Leben für immer verändern würde.

Die Geschichte wechselt immer wieder zwischen Gegenwart und Rückblenden in Annies Kindheit auf St. Kilda.

 

Rachel war mir anfangs nicht immer sympathisch, sie tat mir sehr leid mit all den Todesfällen, die sie richtig gehend verfolgt haben. Ich kann verstehen, dass sie große Angst um ihren Sohn hat. Doch andererseits lässt sie ihren Frust sehr oft an Sam und an Annie aus und überspannt den Bogen in meinen Augen mehr als einmal. Ja, Sam kann sehr anstrengend sein, aber welches Kind ist das nicht? Ja, sie hat es schwer und ihr Leben unterscheidet sich grundsätzlich von dem, das ihre Großmutter geführt hat, aber dennoch ist Rachel für mich zu sehr auf sich fixiert. Alles muss so laufen wie sie es will und Punkt. 

Ich muss dazu sagen, dass meine Großmutter zu uns zog als ich 5 Jahre alt war. Ich weiß wie es ist, wenn Generationen aufeinanderprallen. Ich ein Kind der 90er, meine Oma, Jahrgang 1926, die in bitterer Armut groß geworden war. Natürlich hatte sie ein ganz anderes Verhältnis zu Dingen und Lebensmitteln. Und natürlich kam es da auch zu Konflikten. Aber wenn man miteinander redet, findet man einen Mittelweg. Ich empfinde es bis heute als Bereicherung so aufgewachsen zu sein und die Welt auch anders gesehen zu haben, wie andere meiner Generation.

Rachel wurde mir im Verlauf des Buches aber immer sympathischer, was vor allem daran lag, dass weder Sam noch Annie da waren, um von ihr angemeckert zu werden. Sie entwickelt sich wirklich positiv weiter. Ich finde es toll St. Kilda durch ihre Augen zu erleben. Die Charaktere die mit auf der Insel sind, sind ebenfalls sehr sympathisch und es gibt wirklich tolle Szenen: ich sage nur Küche, Ailic und Schafsdung.

Ailic war mir auch direkt sympathisch. Ich finde es toll, dass er nicht abgehoben ist und den Zauber von St. Kilda zu schätzen weiß. Seine Geschichte fand ich sehr interessant. Er tat mir auch leid, aber ich empfand ihn vor allem als faszinierenden Charakter. Er ist die Person im Buch, die ich am liebsten „live“ erleben würde.

St. Kilda wird meiner Meinung nach wirklich ganz toll beschrieben. Diese Mischung aus Sehnsucht, Zugehörigkeit, Mystik, Geschichte, Tragik und etwas, was man nicht so richtig in Worte fassen kann, machen die Insel zu einem unbeschreiblich interessanten Ort. Bei mir hat das Buch definitiv Fernweh ausgelöst. Ich empfand St. Kilda fast als eigenständigen Charakter, obwohl sich das bei einer Insel seltsam anhören mag, aber irgendwie hat es sich so angefühlt.

Ich finde es faszinierend wenn die Geschichte in Annies Kindheit auf St. Kilda zurückspringt. Das Leben der Menschen dort, kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Wie allgegenwärtig der Tod war und wie oft sie von Katastrophen heimgesucht wurden. Unfälle waren an der Tagesordnung und der Hunger beherrschte im Winter zusammen mit der schrecklichen Kälte das Leben der Menschen. Es konnte so schnell gehen, dass jemand starb. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es war damals auf St. Kilda zu leben, in der Armut und Abhängigkeit und immer wieder heimgesucht von Naturkatastrophen, die einen ganz schnell an den Rand den Hungertodes treiben konnten. Gleichzeitig kann man es kaum nachvollziehen, warum, trotz all der Unbill die Menschen St. Kilda nicht verlassen wollten, warum sie der Insel so viele Jahre und Jahrzehnte nachtrauerten. Es wird zwar erklärt, aber dennoch kann man sich das kaum vorstellen, obwohl man die Gründe nachvollziehen kann. Landschaftlich ist St. Kilda wunderschön, das stimmt, aber wenn man das harte Leben dort gelebt hat, kann ich mir kaum vorstellen, wie man sich danach zurücksehnen kann.

Mini-Spoiler: Am Ende von Kapitel 35 und ab Kapitel 38 braucht ihr Taschentücher! Ich habe auf jeden Fall zwei Packungen verbraucht.

 

Fazit: Mir hat das Buch sehr gut gefallen! Ich fand die Schilderungen über das harte Leben auf St. Kilda faszinierend und ebenso, wie sehr die Menschen diesem Leben nachgetrauert haben, weil sie dort gleichzeitig auch so vieles hatten, was ihnen auf dem Festland genommen wurde. 

Ich fand die Charaktere total sympathisch! Anfangs hatte ich meine Probleme mit Rachel, aber das hat sich bald geändert. Annie ist eine interessante Persönlichkeit und es war unglaublich aus der Sicht eines Kindes die letzten Monate der Bewohner von St. Kilda zu erleben.

Das Buch hat seine härteren Momente und ist teilweise wirklich ergreifend. Aber es ist auch wirklich berührend und zieht einen total in seinen Bann. Ich konnte kaum aufhören zu lesen. Ich bin begeistert!

Absolute Leseempfehlung! Aber haltet Taschentücher bereit!