Rezension

Ein zamonisches Horrormärchen

Ensel und Krete - Walter Moers

Ensel und Krete
von Walter Moers

Bewertet mit 5 Sternen

"Stelle Dich an den Abgrund der Hölle und tanze zur Musik der Sterne!"

Wahlspruch der Bewohner der Lindwurmfeste

Ensel und Krete, ja richtig gelesen - nicht Hänsel und Gretel! zwei junge Fhernhachen-Zwergenkinder machen mit ihren Eltern Urlaub im zamonischen Großen Wald. Der Große Wald ist eine Region vom überaus multikulturellen und fantasievollen Ort Zamonien.

Seid der Ansiedlung der Buntbären im Großen Wald, zählt die Gemeinde Bauming als eine der touristischen Angelpunkte Zamoniens. Er lädt mit seiner überaus vielfältigen Forstnatur zu einem Aufenthalt in vollkommen harmonischer und erholender Umgebung ein. Hier stehen Zyklopeneichen neben Druidenbirken, strecken sich Hutzenlärchen neben florinthischen Rottannen und das dort lebende Buntbärenvolk kümmert sich um das Aufrechterhalten der harmonischen Idylle. Die Buntbären sind die Waldhüter des Großen Waldes und stets auf ihren Patrouillengängen durch den Wald unterwegs.

Deshalb ist es Besuchern des großen Waldes stets untersagt, die festen bezeichneten Wanderwege, die sich durch den Buntbärenwalt schlengeln, zu verlassen. Da sich Ensel und Krete aber langweilen und aus ihrem Urlaub einen möglichst abenteuerreichen und spannenden Aufenthalt machen wollen, kommen sie bewusst von den üblichen Wanderwegen ab um ein kleinwenig ihres jungen rebellischen Übermutes auf die Probe zu stellen.

Doch sie kommen vom Weg ab und verirren sich...letztendlich finden sie nicht mehr den Weg zurück!

Von da an begeben sich die beiden Fhernhachen-Zwerge auf eine magische Reise voller lustiger und gefährlicher Begegnungen, die mit Tagen und Nächten voller Angst, Freude und Übermut, Einsamkeit und großer Gefahr verbunden sind. Das Stöhnen der Druidenbirken und Sternenstauner verfolgt sie Nacht für Nacht auf ihrem Weg, sie begegnen ehrgeizigen Erdgnömchen, einem unberechenbarem Stollentroll & entfliehen einem gemeingefährlichen Laubwolf.
Die Begegnung mit der sagenumwobenen Waldspinnenhexe bleibt nicht aus, blutsaugende Fledertratten verfolgen sie, weinende Bäume, sprechende Pflanzen, doppelköpfige Wollhühnchen, dreiäugige Schuhus, leuchtende Ameisen...

Walter Moers´ Roman beinhaltet feinste zamonische Hochliteratur und eine fantastische Reise jenseits eurer kühnsten Vorstellungskräfte beginnt zu wachsen.

Ob die Fhernhachen-Geschwister wieder zurückfinden, gar überleben oder nicht einer der Gefahren zum Opfer fallen, bestraft oder vielleicht sogar dankbar zurück an ihrem Ausgangspunkt empfangen werden, werde ich natürlich nicht verraten...das überlass ich euch, selbst herauszufinden.

*~**~Meine Meinung~**~*

Neben dem Roman "Die Stadt der träumenden Bücher" welches knapp 500 Seiten umfasst gibt sich der Roman "Ensel und Krete" von außen recht bescheiden.
Nach dem Beginnen und anfänglicher Bedenken schlitterte ich nur so dahin in mythenmetzsches Zamonien-Märchen.

Die Bedenken meinerseits entstanden aufgrund anfänglich sehr sachlicher und objektiver Betrachtungsweise des Erzählers. Die Aufteilung des Großen Waldes und Bauming schien mir zwar als wichtig, aber ich vermisste doch recht bald den mir bisher bekannten Dialog in der Erzählung, der es ermöglicht, sich in die Geschichte hineinzuversetzt zu fühlen. Doch sie blieb nicht aus, sie kam! Aber später als erwartet. Von da an begegnete ich zahlreichen fantasievollen Begebenheiten und Wesen, die niemals langweilig wurden und meinen Eindruck von Walter Moers´ gigantisch fesselnder Erzählungsweise für die Zunkunft nur noch mehr festigt.

Unzählig viele Illustrationen und grafische Zeichnungen ermöglichten es mir ein Bild von den beschriebenen Kreaturen zu bekommen und zu intensivieren. Man kann die Route der Fhernhachen-Geschwister auf der Karte verfolgen und auch die Vorgänger- und Nachfolger-Romane zusammensetzen und bildhaft nachverfolgen. Die Geschichte ist, obwohl man anfänglich eine Parallele zum bekannten Märchen "Hänsel und Gretel" vermutet weit mehr als das! Auch hier nutzt Walter Moers´ geschickt seine Talente um die Aufmerksamkeit der Leser beizubehalten und zu festigen.

Daneben entdeckt man die Mythenmetzsche Abschweifung - welches ein eigens von Hildegunst von Mythenmetz entwickelt und benanntes rhetorisches Stilmittel ist, welches ermöglicht ohne Ausnahme wann immer er will, in die Geschichte einzugreifen, sie anzuhalten oder seinen Launen nach belanglosen Plaudereien nachzugehen, ohne dass ein Literaturkritiker ihm das ankreiden kann. Dank diesem erfundenen Mittel konnte ich stets herzhaft lachen, mich wegen abschweifender Plauderein aufregen oder dankend nach einer Pause äußern. Eine Anfügung dieser Art habe ich bisher noch in keinem Buch entdeckt - wirklich tricky!!

Auch als Fußnoten entdeckt man zu fast jeder fantasievollen Gestalt die Aufklärung durch Erläuterungen aus dem "Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung" von Professor Dr. Abdul Nachtigaller. So bleibt keine Frage offen. Allerdings ist es manchmal eher anstrengend die Erläuterungen bis zum Schluß zu lesen, weil man mit Informationen überflutet wird, die man sich gar nicht alle auf einmal merken kann. Könnte man für meinen Geschmack etwas reduzieren, ich würde sie dennoch nicht als störend bezeichnen.

Im Anschluß an die unterschiedlichst durchspielten Enden der Geschichte, was auch eine sehr lustige Idee ist um selbst am Schluß nicht langweilig zu werden, findet man die halbe Biographie des Hildegunst von Mythenmetz "Von der Lindwurmfeste zum Bloxberg". Ich muss gestehen - ich selbst - habe sie mir nicht wirklich bis zur letzten Seite durchgelesen weil mir das alles viel zu sehr ins Detail ging. Aber an sich keine schlechte Idee.

Man sieht, für mich hat diese Geschichte, auch wenn anfangs durch ihr bescheidenes Auftreten ganz und gar nicht vermutet, eine absolut überwältigende und unterhaltende Wirkung gehabt und ich werde mir als nächstes die "13 ½ Leben des Käpt´n Blaubärs" zu Gemüte führen, weil mir der Nachfolge-Roman von "Die Stadt der träumenden Bücher" in der gebundenen Fassung etwas zu teuer und platzfordernd für den Moment erscheint.