Rezension

Ein Zeitzeugenbericht als Graphic Novel

Die Geschichte von Francine R. -

Die Geschichte von Francine R.
von Boris Golzio

Bewertet mit 3.5 Sternen

Diese Graphic Novel habe ich durch Zufall in meiner Bibliothek gefunden. Da mich solche Comic, die die NS-Zeit aufarbeiten, immer ansprechen und ich sie für ein wichtiges Medium der Geschichtsvermittlung halte, kam die Graphic Novel direkt mit nach Hause.
 
Ein Zeitzeugenbericht
Die Graphic Novel beginnt mit einer kurzen Einführung, in der Boris Golzio erzählt, wie Francine R. ihn eines Tages auf der Suche nach Verwandten überraschend anrief und wie er die ältere Dame dann kennenlernte. Und dann beginnt Francine zu erzählen. Von ihrer Verhaftung durch die Gestapo, ihrer Mitwirkung in der Résistance, von der Zeit im KZ Ravensbrück, dessen Befreiung und die Zeit danach. Es ist ohne Frage ein bewegtes Leben und Francines Schicksal hallt nach der Lektüre in einem nach. Da ich selbst vor einigen Jahren die Gedenkstätte Ravensbrück besucht habe, fand ich den Bericht umso eindringlicher.

Das Besondere an dieser Graphic Novel ist, dass sie aus den Gesprächen des Autors mit Francine R entstanden sind, die Texte sind alle direkte Zitate aus diesen Gesprächen, wir haben also hier im Grunde einen bebilderten Zeitzeugenbericht vor uns liegen. An manchen Stellen finden sich noch Kommentare von Golzio, in denen er Dinge ergänzt, an die sich Francine nicht mehr erinnert, wie z. B. Namen von Leute und Orte oder genaue Datumsangaben. Hin und wieder finden sich auch Ergänzungen, die die Situation erklären und besser verständlich machen sollen, aber insgesamt hält sich Golzio sehr zurück und lässt die Worte der Zeitzeugin auf den/die Leser/in wirken. Was ich an sich einen interessanten Ansatz finde, wurde jedoch dann für mich zum Problem, als sich zeigte, dass Francine R. einige rassistische Ansichten, insbesondere gegenüber Polen und Polinnen hat. Der Kommentar Golzios, dass dies eben Francines Gedanken sind, reicht mir nicht aus, um das so stehenzulassen und ich finde es gerade bei diesem Thema sehr schade, dass sich hier nicht mehr damit auseinandergesetzt wurde. Damit meine ich nicht, dass Francines Aussagen gestrichen werden sollten, auf keinen Fall, aber ein umfangreicherer Kommentar oder besser noch ein gezieltes Nachwort dazu wären meiner Meinung nach angebracht gewesen. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass solche Äußerungen in einem historischen Kontext kritisch betrachtet und diskutiert werden. Hier hätte die Graphic Novel stärker aufklären und reflektieren können. Das Fehlen dieser Reflektion war der Grund für den ersten Punkt Abzug in meiner Bewertung.

Tristesse in Sepia
Kommen wir zum künstlerischen Aspekt. Die monotone Farbpalette der Graphic Novel, die erst nach der Befreiung wirklich Farbe zulässt, trägt effektiv zur Darstellung der Trostlosigkeit und des Leids in den Konzentrationslagern bei. Die Entscheidung, fast nur Sepiatöne zu verwenden, verstärkt die düstere Atmosphäre und lässt den Leser die Hoffnungslosigkeit und Brutalität der Situation besser nachempfinden. Durch den bewussten Einsatz von Farbe nach der Befreiung wird dann im Kontrast dazu die Bedeutung von Freiheit und Lebensfreude hervorgehoben. Daher hat mir die Kolorierung sehr gut gefallen.
Weniger mochte ich die Zeichnungen. Diese sind nämlich gerade in den Gesichtern sehr detailarm. Sehr häufig bestehen die Gesichter nur aus zwei Kullern als Augen und Striche für die Augenbrauen, sonst nichts und wirken oft ziemlich kindlich. Nun mag mach einer das als interessante Ambivalenz zu den grausamen Geschehnissen, oder als eine bewusste Anonymisierung, um zu verdeutlichen, dass Francine eine von vielen war, deuten und vielleicht hat diese Person auch recht, ich mochte es aber trotzdem nicht. Mir gehen dadurch zu viele Emotionen und Nuancen verloren, die die Geschichte noch stärker hätten vermitteln können. Der Bericht wirkt nüchtern, aber nicht auf eine Art, die die Geschehnisse eindringlicher werden lassen, so wie es zum Beispiel Anna Seghers vermochte, sondern einfach nur unbeteiligt, gleichzeitig duch die kindlichen Zeichnungen aber auch naiv, eine seltsame Mischung. Das war der zweite Punkt Abzug.

Trotz meiner Kritikpunkte schätze ich dennoch Boris Golzios Bemühen, diese Erinnerung einer Zeitzeugin zu bewahren und zu vermitteln. Besonders in Zeiten des Erstarkens rechter Ideen ist es wichtiger denn je, solche Geschichten zu erzählen. Die Graphic Novel bez. das Medium Comic allgemein ist eine gute Art, um ein breites Publikum anzusprechen und auf eine emotionale und eindringliche Weise zu informieren. Comics haben die einzigartige Fähigkeit, komplexe Themen auf visuelle Weise zu vermitteln und eine Verbindung zum Leser herzustellen. Diese Methode kann Menschen erreichen, die möglicherweise nicht so leicht Zugang zu traditionellen historischen Berichten finden.

Fazit:
In Zeiten, in denen rechte Parteien Aufwind haben und Rassismus wieder salonfähig wird, werden Comics wie Die Geschichte von Francine R. umso dringender gebraucht. Es mag nicht die beste Graphic Novel sein, die sich mit dem Holocaust beschäftigt, dennoch ist sie lesenswert.