Rezension

Ein zu weit gefasster Winkel?

Weitwinkel - Simone Somekh

Weitwinkel
von Simone Somekh

"Eine ebenso berührende wie lebensnahe Coming-of-Age-Story über Selbstermächtigung, Glaube in der modernen Welt und eine außergewöhnliche Freundschaft." Dieses Motto gibt uns der Klappentext unter anderem zum Buch vor. Leider bin ich der Meinung, dass nur wenige der angesprochenen Punkte letztendlich tatsächlich zutreffen.
In der Geschichte begleiten wir in rasender Geschwindigkeit einzelne Szenen aus dem Leben eines 16- bis später 20jährigen Jungen Ezra aus einer ultraorthododoxen jüdischen Gemeinschaft in Boston. Dieser zieht aus um Modefotograf zu werden und findet seinen Weg in ferne Länder.
Die Tableaus wirken dabei jedoch stets bemüht, Beziehungen zu Nebencharakteren arg konstruiert. Die Probleme im Leben von Ezra tauchen auf, werden kurz, recht emotionslos abgehandelt und weiter gehts zum nächsten Lebensabschnitt. Die Entwicklung des Protagonisten ist dabei häufig nur wenig nachvollziehbar, da auch nicht ausführlicher beschrieben. Psychologische Zusammenhänge bleiben sehr vage. Die vier Jahre, die wir begleiten dürfen beinhalten dabei so viele abwegige Ploteinheiten, dass man auch am "lebensnah" aus dem Klappentext zweifeln möchte. Die außergewöhnliche Freundschaft rückt schnell in den Hintergrund und blitzt nur am Ende noch einmal kurz auf. Außer Ezra spielt hier scheinbar niemand anderes eine Rolle. Somit kann man zumindest dem Punkt "Selbstermächtigung" zustimmen.
Den "Glauben in der modernen Welt" sehe ich bezogen auf die Darstellung der ultraorthodoxen Mitglieder der Gemeinde, zu denen selbstverständlich die Eltern des Protagonisten gehören, nicht realistisch und konsequent genug. Manche Verhaltensweisen ergeben keinen Sinn und wären eher undenkbar in diesen (fanatischen) Glaubenskreisen. Wer also diesbezüglich einen Einblick in die Lebensweise dieser Gemeinde bekommen möchte, sollte sich andere, authentischere Literatur suchen. Sie gibt es!
Was ich noch zuletzt anmerken möchte: Ich finde, das Cover wirkt eher so, als ob es zu einem humoristischen Roman passen würde. Ich hatte auch mehr "jüdischen Witz" erwartet. Dies ist hier jedoch keinesfalls zu erwarten. Die Romanfigur Ezra nimmt sich selbst zu ernst, und so auch der Roman. Häufig tauchen pathetische Sätze (besonders gern an Kapitelenden) auf, die jedoch nicht verfangen.
In diesem trotzdem kurzweiligen Roman, der viel will, aber leider nicht so viel schafft, werden verschiedenste Themen angesprochen, jedoch nicht gründlich ausgearbeitet. Hier hätte es mir mehr gefallen, wenn sich auf weniger Themen beschränkt, diese aber dann tiefgründiger beschrieben worden wären.