Rezension

Einblick in die kubanische Gesellschaft

Anständige Leute -

Anständige Leute
von Leonardo Padura

Bewertet mit 4 Sternen

Anständige Leute" ist der 2022 im Original erschienene jüngste Teil der sog. Mario-Conde-Romane des kubanischen Autors Leonardo Padura. Es ist der erste Roman, den ich von diesem Autor gelesen habe. Eines vorab: Man muß keinen der Vorgängerromane gelesen haben um mit den Personen und Gegebenheiten dieses Romans zurecht zu kommen, dieser Roman steht ganz und gar für sich allein.

Wir begegnen Mario Conde im Jahr 2016. Conde ist ein 60jähriger ehemaliger Kommissar, hat den Polizeidienst vor langer Zeit quittiert und hält sich mit dem Handel gebrauchter Bücher und einem Aufpasserjob im La Dulce Vida, einer Mischung von Bar und Restaurant, in Havanna finanziell über Wasser.

Von seinen ehemaligen Polizeikollegen nach wie vor geschätzt, wird er um Mithilfe bei der Aufklärung eines Mordes gebeten. Opfer ist Reynaldo Quevedo, in den Siebzigerjahren Instrument des damaligen Regimes zur "ideologischen Bereinigung" der künstlerischen intellektuellen Kreise Kubas. Seine Mittel: Gnadenlose willkürliche Verfolgung, Verhaftung, Folter, Ausgrenzung, Erniedrigung und Bespitzelung aller, die seiner Meinung nach nicht der Norm der "ideologische Reinheit" entsprachen.

Ein zweiter Handlungsstrang beginnt im Jahr 1909. Der junge vom Land kommende Polizist Arturo Saborit lernt mit Havannas Stadtteil San Isidro "das übel riechende Eingeweide der Stadt" kennen: Das von Kriminalität geprägte Geschäft mit der Prostitution. Er ist fasziniert vom König der Zuhälter, dem jungen, eleganten und sehr attraktiven Alberto Yarini. In diesem Rotlichtmilieu geschehen Morde an Prostituierten, die Saborit auch im Interesse seines immer mehr zum Freund werdenden Yarinis aufklären soll.

In diesem Roman geht es vordergründig um die Aufklärung von Morden. Den großen Hintergrund bildet aber der Blick auf die kubanische Gesellschaft, auf die Lebensumstände der Bevölkerung und auf die Geschichte des Landes. Und dieser Blick ist für mich das, was den großen Reiz der hier erzählten beiden Geschichten ausmacht, meiner Meinung nach ein authentischer Blick. Padura gelingt es, der gängigen Vorstellung von Kuba als karibische Insel mit Traumstränden, durch Havanna cruisende rosa Cadillacs, Tanzmusik in den Clubs und dem nostalgischen Charme verfallender Stadtvillen die Lebensrealität der Kubaner entgegenzusetzen. Letztere ist 1910 wie 2016 von Armut geprägt.

Dennoch scheint bei beiden Hauptprotagonisten, also Saborit und Conde, der Stolz auf und die Liebe zu ihrem Land durch, die Lebensfreude aller Widerstände zum Trotz, gepaart mit einer unterschwelligen Melancholie ob der desaströsen Zustände im Land. Eine Mittelschicht gibt es weder 1910 noch 2016. Padura arbeitet den, wie er sagt, "seltsamen Gegensatz zwischen Überfluss und Armut" gekonnt heraus. Prunkvolle Villen, Schatten spendende Gärten, Luxusläden und -restaurants, die Welt einer Elite auf der einen Seite und auf der anderen Seite der "Furunkel der Armut".

Der Leser gewinnnt einen ungeschönten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse Kubas. 1910: Korruption und das verabscheuungswürdige und von Männern geprägte Geschäft der Zuhälter, in dem Frauen gnadenlos ausgebeutet werden. 2016: Die noch immer nicht überwundene Armut und die nach wie vor herrschende Korruption und die Angst vor den Machthabern.

Gefallen haben mir auch die teils deftigen und mit vielen Kraftausdrücken gespickten Dialoge, die bildhaften Beschreibungen Havannas, ich nenne es karibisches Flair mit Bohèmecharakter und die zahlreichen philosophischen Einschübe durch die Lebensbetrachtungen der beiden Hauptprotagonisten.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Langeweile kam an keiner Stelle auf, vielmehr zieht sich wegen des Krimiplots eine gewisse Spannung durch den ganzen Roman. Ich vergebe 4 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.