Rezension

Einblicke in das Leben einer jüdischen Familie - und Zwiespalt als Leserin

Masel tov - J. S. Margot

Masel tov
von J. S. Margot

Klappentext: "Sechs Jahre lang begleitet die Studentin Margot die Kinder der jüdisch-orthodoxen Familie Schneider: Sie gibt Nachhilfestunden und Radfahrunterricht, tröstet in Krisensituationen und hat stets ein offenes Ohr. Besonders durch den engen Kontakt zu Tochter Elzira und Sohn Jakov bekommt Margot so immer tiefere Einglicke in eine verschlossene Welt, deren strenge Gebote und jahrhundertalte Traditionen sie faszinieren und zugleich befremden. Auch als die Kinder das Elternhaus verlassen, bleibt sie der Familie tief verbunden. In diesem Buch erzählt Margot die Geschichte dieser besonderen und manchmal auch schwierigen Verbindung - und liefert ein bewegendes Plädoyer für Offenheit und Toleranz."

Jawohl, das ist ein ungewöhnlicher Einblick, den ich mit viel Interesse gelesen habe. Und zwischendurch kam dann doch immer wieder ein leiser Ärger auf: Margot möchte zum Beispiel Jahre später eine Reportage über die Arbeit der Schadchen, der Heiratsvermittler, schreiben - und wundert sich, dass diese das ablehnen. Es ist doch klar, dass ein solcher Bericht bei der nicht-jüdischen Bevölkerung nicht auf viel Verständnis stoßen wird! Sie erwartet von den Schneiders, dass diese sich öffnen, aber wo ist ihre eigene Bereitschaft dazu? Noch nach sechs Jahren kennt sie die jüdischen Feiertage nicht, die sie problemlos in einem Buch hätte nachlesen können. Schneiders stellen eine junge Frau ein, die eine Hose trägt, noch dazu mit Totenkopfmuster, die unverheiratet mit einem muslimischen Flüchtling aus dem Iran zusammenlebt. Meines Erachtens zeigen sie damit entschieden mehr Toleranz und Respekt vor anderen Werten als die meisten, die ihnen Abschottung und Doktrinismus vorwerfen. Auch wenn ich nicht in allen Punkten mit Mijnheer Schneider übereinstimme, wirkt er doch auf mich als ein Mann, mit dessen Gedanken und Grundsätzen eine Auseinandersetzung sehr fruchtbar und bereichernd sein könnte. Diese Chance hat Margot verpasst, und mit ihr verpasse ich es als Leserin. Es ist unvermeidbar, dass ein Leser alles durch die Brille des Autors sieht, aber hier juckt es mich doch in den Fingern, mir diesen Umweg zu ersparen. Schade, dass das nicht möglich ist. Am Ende beschreibt Margot ein Gespräch mit Mijnheer Schneider, in dem er sehr deutlich äußert, dass er nicht wünscht, dass über seine Familie geschrieben wird. Sicher hat die Autorin die Namen und weitere Details verändert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit dieser Veröffentlichung glücklich ist. Möglicherweise empfindet er dieses Buch sogar als Vertrauensbruch.

Fazit: Gut gemeint ist das Buch in jedem Fall, und laut Verlag ist das Buch in Belgien und in den Niederlanden ein großer Bestseller und das Lieblingsbuch von Königin Mathilde. Vielleicht sollte ich mich also nicht über das ärgern, was verpasst wurde, sondern über das freuen, was möglich war? Oder ist meine Skepsis gerechtfertigt? Das muss ich wohl mal überschlafen und das Buch irgendwann mit Abstand noch einmal lesen.