Rezension

Eindrucksvoll einfach

Die Farbe von Milch
von Nell Leyshon

Bewertet mit 4 Sternen

„Dies ist mein Buch und ich schreibe es eigenhändig. Es ist das Jahr des Herrn achtzehnhunderteinunddreißig und ich bin fünfzehn geworden…

Ich bin nicht sehr groß und mein Haar hat die Farbe von Milch. Mein Name ist Mary. M.A.R.Y. So schreibt man die Buchstaben. Ich will erzählen, was passiert ist…“

 

In zunächst gewöhnungsbedürftig einfacher Sprache erzählt hier ein Bauernmädchen ihre Geschichte. Ihr Leben ist kein Honigschlecken, bestimmt durch Arbeit auf dem Hof unter der Knute eines strengen Vaters, der lieber Söhne gehabt hätte. Ganz klar sind wir hier nicht bei den Ingalls in Walnut Grove.

Mary erzählt von ihrem Alltag, den sie fatalistisch hinnimmt. Sie kennt es nicht anders und ist zufrieden. Allerdings ahnt man eine Katastrophe, die im Hintergrund lauert. Aus den Passagen, die die einzelnen Kapitel einleiten, spricht Verzweiflung. Sie schreibt alles auf, wie es geschah, hat aber nicht mehr viel Zeit?

 

Das ist das Rätsel, das einen hier weiter und weiter lesen lässt. Das Buch entwickelt sehr schnell Sogwirkung, auch wenn es zunächst nur um die kleinen Widrigkeiten des Lebens geht. Väterliche Prügel sind kein Weltkrieg, trotzdem sind sie leidvoll, auch wenn sich Mary in ihrem Bericht auf die blanken Fakten beschränkt. Sie wertet nicht, erzählt, wie es war. Hier liegt das Drama deutlich zwischen den Zeilen und das nimmt mehr mit als jeder Tränenausbruch.

Im weiteren Verlauf mausert sich das Geschehen dann doch zu einer Tragödie, die unerwartet trifft. Sehr deutlich wird, dass hier ein einfaches Mädchen ins Unglück rennt und niemals eine Wahl hatte. Das ist nicht neu, aber wahrhaft erschütternd.

 

Sehr geärgert hat mich beim Lesen, dass der Klappentext so viel verraten hat. Das Buch ist kurz und schnell gelesen. Es würde mit einigen großen Überraschungen aufwarten, wenn nicht 90% davon vorher bekannt wären. Jammerschade.

Am Ende bleibt die Frage, kann etwas große Kunst sein, was so schnörkellos daherkommt? Dieses Buch ist eindrucksvoll trotz seiner schlichten Sprache, oder gerade deswegen?