Rezension

Eindrücklich erzähltes Kinderschicksal auf dem Hintergrund der Rassentrennung in Arkansas

Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt - Maya Angelou

Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt
von Maya Angelou

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als erstes habe ich gelernt, dass es eine neue Schublade gibt, in die man Bücher stecken kann. Sie ist mit 'Memoir' beschriftet. Für mich ist es eine Untergruppe der Biografie, nämlich die interessante Lebensgeschichte einer unbekannten Person.

In diesem Buch ist es Marguerite Johnson, die einen Teil ihrer Lebenserinnerungen erzählerisch umsetzt. Nennen wir sie im folgenden 'Maya', so wie es als Autorin auf den Büchern steht. Das kleine Mädchen ist schwarz und lebt in Stamps, Arkansas, in den 30-/40er Jahren. "In Stamps war die Rassentrennung so total, das die meisten schwarzen Kinder eigentlich nicht wirklich wussten, wie Weiße aussahen." (33) Menschen waren für Maya die auf der selben Seite der Stadt, "die anderen, die seltsam bleichen Kreaturen, die ihr fremdes Unleben lebten, waren keine Menschen. Sie waren Weiße." (34)

Aber selbst die von den Schwarzen 'Armweißlumpen-Kinder' genannten respektieren die Schwarzen nicht und schikanieren sie, was in einer Szene sehr eindrücklich geschildert wird (36 ff.), wie überhaupt die Realität der Rassentrennung in vielen kleinen Bildern in deprimierender Weise zutage tritt, z.B. als Maya rasende Zahnschmerzen hat und der weiße Zahnarzt, dem Annie in Zeiten der Depression finanziell geholfen hat, eine Behandlung mit den Worten ablehnt: "Annie, es ist meine Überzeugung, dass ich lieber einem dreckigen Köter die Hand ins Maul stecke als einem Nigger." (215) So viel Menschenverachtung ist entsetzlich.

Dabei haben es die kleine Maya und ihr Bruder Bailey noch einigermaßen gut angetroffen, denn ihre schwarze Großmutter, die einen Krämerladen führt, zieht sie auf. Der schwarze Vater und die gemischtrassige Mutter haben sich getrennt und kümmern sich nicht um ihre Kinder. Obwohl die sehr religiöse Großmutter, 'Momma', sie mit liebevoller Strenge erzieht, fehlt den Kindern nicht nur die Mutterliebe, sondern sie fühlen sich schuldig und grübeln ständig darüber nach, ob sie etwas Böses getan haben.

Doch eines Tages kommt der ziemlich leichtlebige erscheinende Vater und bringt sie zur Mutter und ihrer Familie in St. Louis. Nachdem sich Mr. Freeman, der schwarze Freund der Mutter, an Maya vergriffen hat, werden die beiden Geschwister am Ende nach Stamps zurückgeschickt. Maya spricht kaum noch, weil sie sich schuldig fühlt.

Der weitere Lebensweg des intelligenten Mädchens, das einen guten Schulabschluss macht und später doch wieder zur Mutter nach San Francisco zieht, wird mir ein wenig zu schnell erzählt und bricht ab, bevor es richtig interessant wird. Sehr schade, denn Maya Angelou, die später auch Gedichte geschrieben hat und Vertraute von Martin Luther King und Malcolm X. war, hatte ein ungewöhnliches Leben und vermag in poetischer Sprache davon zu erzählen. Unter ihrem Schwarzsein hat sie wohl sehr gelitten.

"Schwarz zu sein, nicht über das eigene Leben bestimmen zu können, war schrecklich. Jung zu sein, aber schon gewohnt, die Vorurteile über die eigene Hautfarbe still un widerspruchslos anzuhören, war brutal. Besser, wir wären alle tot." (206)

Einige Szenen fand ich sehr eindrücklich wiedergegeben, anderes war zu ausführlich dargestellt, z.B. ein Vormittag in der Kirche. Die erste Hälfte fand ich sehr gelungen, danach fand ich die Darstellung ihres Lebens zu gerafft und zu distanziert. Dennoch: ein wichtiges Zeugnis über die Zeit der Rassentrennung in den USA.