Rezension

Eine Abrissbirne für das gesellschaftliche Narrativ

MTTR -

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von Julia Friese

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch war eine absolut willkommene Herausforderung. Vielmehr als WOW fällt mir dazu eigentlich gar nicht ein, aber vielleicht doch ein paar Worte.

Was passiert, wenn eine Frau schwanger wird, ein Kind erwartet, Mutter wird? Teresas Schwangerschaftstest im Büro wirft sie in eine neue Realität, von der sie noch nicht weiß, ob sie diese überhaupt will, geschweige denn wie diese aussehen wird. Doch die Menschen um sie herum wissen es dafür umso besser. Allen voran ihre Eltern und Schwiegereltern, die zwischen distanziert und übergriffig ihre Maßstäbe an Teresas Leben anlegen. 

Ich habe mich liebend gerne mitreißen lassen von diesem turbulenten Gedankenstrom - ständig eine neue Welle, die dir über dem Kopf zusammenschlägt. Julia Friese ist mutig und radikal in ihren Gedanken zur Mutterschaft und schmerzhaft genau in der Beschreibung der verschiedenen Generationen und ihrer Prägungen, die sie mit sich herumtragen. Die Gedanken im Buch sind so klug beobachtet, dass es einem den Atem verschlägt. Ich war mittendrin in der inneren, persönlichen Auseinandersetzung von Teresa und konnte trotzdem sehen, wie sie da inmitten der Gesellschaft, des Gesundheitssystems, der durch Nachkriegsprägung beeinflussten Familie steckt und von den Strukturen aufgerieben wird. Ich habe lange nicht mehr so überzeugende Dialoge gelesen. Pointiert, auf die Spitze getrieben, dachte ich erst, und dann die schmerzliche Erkenntnis - sie sind aus dem Leben gegriffen. Das Buch ist sprachlich einfach grandios. Die Vergleiche, die Julia Friese bei jeder Gelegenheit einfallen - für mich klingen sie wie Glückstreffer, wie ein kreativer Schnappschuss, aber sie produziert diese einfach mal am Fließband. 

Dieses Buch ist eine Abrissbirne für das gesellschaftliche Narrativ, das würde Teresa vielleicht sagen. Es ist als würde man auf eine saure Süßigkeit beißen - es zieht sich alles zusammen in Mund und Magengegend und doch will man immer mehr.